Wo warst du Adam?

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Wo warst du Adam?

von redaktion am 03.09.2010 10:08




Wo warst du Adam? Erinnerung an einen Text von Heinrich Böll

August 4, 2010 von polis-Gastautor Ulrich Kasparick



„Wo warst du Adam?“
„Ich war im Weltkrieg“ .
So überschreibt Heinrich Böll seinen 1951 erschienenen Antikriegsroman sechs Jahre nach Kriegsende.
„Wo warst du Adam?“ fragt nach der Verantwortung des Menschen.
Es ist eine unerbittliche Frage.

Dieses „triste Buch“ beschreibt der Spiegel 1952 als das „bildkräftigste Kriegsbuch aus deutscher Feder“.
Die Generation der Heimkehrer versucht zu verstehen, was da um sie herum und mit ihnen geschehen war.

Heute im Kriegsjahr 2010 gibt es wieder Heimkehrer in Deutschland. Traumatisierte Soldaten. Gestorbene Soldaten.
Wieder trauern Familien an den Särgen ihrer Angehörigen.
Und der Minister redet von „Verteidigung“ und von „Freiheit“ und von „Sicherheit“.

Heute, im Kriegsjahr 2010, ist es gut, sich an Heinrich Bölls Buch „Wo warst du Adam?“ zu erinnern.
Es ist ein schmales Bändchen. Zügig gelesen an einem Wochenende.
Aber uns Deutschen ins Gewissen geschrieben.
Man sollte dieses Büchlein wieder lesen im Kriegsjahr 2010.
Denn wieder macht man sich daran, ein Volk an einen Krieg zu gewöhnen.

Wieder wird die „Kommunikation“ (früher nannte man es Propaganda) zugunsten des „Einsatzes“ „verbessert“.
Man versucht wieder, mit Hilfe vor allem von Bildern und Videos, die „Stimmung in der Bevölkerung“ zugunsten des Krieges zu beeinflussen.
1945 war die parteiübergreifende zentrale politische Forderung: „Nie wieder Krieg“.
Heute, im Kriegsjahr 2010, erinnern die beiden großen Kirchen in der ökumenischen Friedensdekade (7. – 17. November) „Wir sind im Krieg. Entrüstet Euch!“

Heute, im Kriegsjahr 2010, will uns der Verteidigungsminister wieder weismachen, der Krieg sei nötig.
Wieder bemüht man große Worte wie „Freiheit“ und „unsere Sicherheit“ um das Töten zu begründen.
Wieder werden Parlament und Öffentlichkeit belogen (der Internetdienst Wikileaks und etliche politische Magazine haben kürzlich erst wieder darauf hingewiesen).

Da findet ein Krieg statt, der mittlerweile länger dauert als der Zweite Weltkrieg gedauert hat.
In jenem fernen Land im Osten, von dem die meisten nur den Namen kennen. Es ist ja weit weg. Es geht uns nichts an.
Nur die Särge stören ein wenig, wenn sie nach Hause gebracht werden.
Aber bald schon sind auch diese Bilder wieder vergessen in der Bilderflut unserer Tage und man widmet sich wieder dem Spiel und dem Essen.
Grast weiter. Wie eine Herde Kühe.

„Wo warst du Adam?“
Wir wissen, daß das Parlament belogen wurde. Wir wissen, daß das Parlament nicht umfassend informiert war über die Bedingungen und Konsequenzen des Krieges in Afghanistan.
Entscheidungen wurden getroffen auf unsicherer Grundlage.
Entscheidungen mit fatalen Konsequenzen: in diesem Krieg sind deutlich mehr Zivilisten umgekommen als Soldaten.
Die Unsicherheit wächst.

„Wo warst du Adam?“
Das ist die Frage nach meiner Verantwortung.
Hier und jetzt.

Meine Verantwortung besteht darin, hier und jetzt meinen Beitrag zu leisten, damit dieser Krieg aufhört.
Man kann Blut nicht mit Blut abwaschen. (Bertha von Suttner).
Meine Verantwortung besteht darin, hier und jetzt gegen die Gewöhnung zu argumentieren.
Diese gefährliche Gewöhnung an den Krieg, der so weit weg scheint; diese gefährliche Gewöhnung an die Bilder, die schnell wieder untergehen in der Bilderflut unserer Tage.

Wir wollen uns nicht gewöhnen lassen an diesen Krieg, der „nicht zu gewinnen“ ist (Helmut Schmidt).
Deshalb arbeiten wir dafür, daß der Bundestag einer erneuten Mandatsverlängerung nicht mehr zustimmt.
Die Online-Petition wurde gestern beim Bundestag eingereicht. Die Facebook-Gruppe zur Unterstützung der Petition ist eingerichtet.

So, wie die Niederländer mit dem Abzug bereits begonnen haben, müssen die Soldaten der gesamten Allianz abgezogen werden.
Man kann den Frieden nicht herbeibomben.

„Wo warst du Adam?“
Es ist die Frage nach meiner Verantwortung.

Ich habe lange Zeit als Abgeordneter im Parlament den Einsätzen am Hindukusch zugestimmt, weil ich den Argumenten gefolgt war, die man uns vorgehalten hatte:
es waren vor allem Bündnisverpflichtungen gegenüber den USA, nachdem in der Folge vom 11. September der „Bündnisfall“ ausgerufen worden war. Das Argument, es ginge am Hindukusch um die „Verteidigung unserer Sicherheit“ hat mir nie eingeleuchtet.
Denn, das wissen wir nicht erst seit jenem politischen Papier aus den achtziger Jahren, das noch in der Zeit der Blockkonfrontation zwischen SPD und SED besprochen worden war:
es gibt nur eine „gemeinsame Sicherheit“ in einer eng verknüpften Welt.

Seit jenem September 2009 jedoch, als ein deutscher Offizier – obwohl selbst die Amerikaner ihm abgeraten hatten – jenen Tanklastzug bei Kunduz bombardieren ließ, hat sich die Situation für mich völlig geändert:
seither trage ich eine Mitverantwortung am Tod jener 142 Menschen.
Denn das Mandat des Parlaments hat diesen Angriff überhaupt erst ermöglicht.
Dieser Angriff hat mir schlagartig vor Augen geführt, was wir da eigentlich tun am Hindukusch.
Und er hat mir die hohe Verantwortung vor Augen geführt, die der Deutsche Bundestag hat.
Denn die Abgeordneten haben die Soldaten geschickt.
Das Mandat kommt vom Parlament.
Wir, die wir damals den Mandaten zugestimmt haben, tragen die Verantwortung.
Nicht die Generäle.
Denn wir haben mit unserer Abstimmung jenen Angriff überhaupt erst ermöglicht.

Das ist unsere Verantwortung.
Wir können diesen Angriff und seine Folgen nicht rückgängig machen.

Wir können aber dafür arbeiten, daß dieser Krieg beendet wird.
Hier und jetzt.
Im Kriegsjahr 2010.

Link-Foto: Dirk Schelpe / pixelio.de

Antworten Zuletzt bearbeitet am 28.11.2010 14:45.

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