Tod am Heiligabend: Vor 30 Jahren stirbt Rudi Dutschke

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Tod am Heiligabend: Vor 30 Jahren stirbt Rudi Dutschke

von redaktion am 22.12.2009 11:54



Tod am Heiligabend: Vor 30 Jahren stirbt Dutschke
Von Georg Ismar, dpa


Rudi Dutschke

Der Weihnachtsbaum ist gerade geschmückt, aber wo ist Papa? «Komisch, er ist schon ziemlich lang im Bad», sagt die Mutter. Sie geht raus und ruft den Kindern Polly und Hosea Che zu, dass sie gleich zum Essen kommen sollen. Die Ente brutzelt duftend im Ofen. Polly und Hosea sehen, wie die Mutter zum Badezimmer geht, dann ein Schrei: «Rudi, Rudi, Rudi.» Aus seinem Mund fließt Schleim. Hosea rennt los, holt einen Topf mit Wasser und schüttet ihn dem Vater übers Gesicht. Dieser liegt nackt und leblos im Badezimmer. «Wach auf, wach doch auf, lieber Papa, wach endlich auf Papa.»

Papa wacht nicht mehr auf. Rudi Dutschke ist tot. Heiligabend ist seit dem 24. Dezember 1979 für Gretchen Dutschke und ihre Kinder - sie war damals schwanger mit ihrem dritten Kind Rudi Marek - ein trauriger Tag. In diesem Jahr jährt sich der Todestag Dutschkes zum 30. Mal. Im «Spiegel» beschreibt der damals 12 Jahre alte Hosea erstmals, wie er den Tod des Vaters, des ehemaligen Studentenführers, im Haus der Familie im dänischen Arhus erlebte.

Dutschke starb damals im Alter von 39 Jahren an den Spätfolgen des Attentats auf ihn elf Jahre zuvor. Er erlitt einen epileptischen Anfall. Er wurde in Berlin, unweit der Freien Universität begraben. Nach Berlin gehörte er, schrieb Gretchen Dutschke-Klotz in ihren Erinnerungen («Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben»).

Rückblick: Am Gründonnerstag 1968 kommt der 23-jährige Anstreicher Josef Bachmann mit dem Interzonenzug aus München am Bahnhof Zoo an. «Wissen Sie, wo Rudi Dutschke wohnt?» fragt er den Taxifahrer, der ihn zur Zentrale des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kudamm fährt. Um 16.30 Uhr sieht Bachmann dort einen Mann mit einem Damenfahrrad aus dem Hausflur kommen. «Sind Sie Rudi Dutschke?» «Ja.» «Du dreckiges Kommunistenschwein», schreit Bachmann und schießt. Dutschke stürzt vom Fahrrad und ruft «Soldaten, Soldaten!».

Nach neuen Erkenntnissen ist Bachmann kein Einzeltäter, sondern hat enge Beziehungen zu einer rechtsradikalen Gruppe. Die Schüsse beschädigen Dutschkes Hirn, er erlernt nur mühsam wieder zu sprechen - für die Studentenbewegung ist es ein Schlag, von dem sie sich nicht mehr richtig erholt. Als Soziologiestudent an der Freien Universität (FU) hatte sich der in Brandenburg geborene Dutschke 1963 der «Subversiven Aktion» angeschlossen, die 1964 im SDS aufging. Der SDS war Motor der außerparlamentarischen Opposition (APO) - und Dutschke - sein Markenzeichen war der gestreifte Wollpulli - mit seinen radikal-sozialistischen Ideen eine der herausragenden Figuren. In Interviews wurde aber auch das teils krude und utopische Denken Dutschkes deutlich.

Jene «drei Kugeln auf Rudi Dutschke», die der Liedermacher Wolf Biermann später besang, lösen mit die schwersten Straßenkrawalle in Deutschland seit der Weimarer Republik aus. Im Fokus steht die «Bild»-Zeitung des Axel-Springer-Verlags, die den Hass gegen Dutschke geschürt habe, wie viele Studenten meinen. «Bild hat mitgeschossen», skandieren sie. Auslieferungsfahrzeuge werden in Brand gesetzt.

Wenig später zerbricht die Bewegung, ein Teil radikalisiert sich in der Bewegung 2. Juni und in der Roten Armee Fraktion (RAF). Für Dutschke werden die Jahre nach dem Attentat zu einer Odyssee. 1970 beginnt er ein Studium in Cambridge. Nach der Ausweisung aus England wird er Dozent an der dänischen Universität Arhus. Deutschland bleibt er verbunden, 1979 wird er Mitglied der Bremer Grünen Liste, engagiert sich in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung.

Dutschke polarisiert bis heute. 2007 werden die alten Schlachten noch einmal gekämpft, die Bürger setzen die Umbenennung eines Teils der Berliner Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße durch, an der nun - als historische Pointe - das Axel-Springer-Haus liegt. Rudi Marek, der wie einst der Vater in Berlin lebt, fragt damals mit Blick auf die heftige Kontroverse: «Warum kann man nicht anerkennen, dass sich mein Vater und die Studentenbewegung bleibende Verdienste für ein neues Demokratieverständnis und gesellschaftliche Veränderungen erworben haben?»

Antworten Zuletzt bearbeitet am 22.12.2009 11:55.

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