Spiel mit dem Feuer

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Spiel mit dem Feuer

von redaktion am 03.02.2011 10:57




Spiel mit dem Feuer
von polis-Gastautor Thomas de Torquemada

Am heutigen Tage sind offensichtlich die Proteste in Kairo eskaliert – worden. Wie man hört,
zogen Anhänger Mubaraks durch die Stadt, es kam zu Zusammenstößen, besser
Straßenschlachten. Bei den Kundgebungen für Mubarak handelte es sich allerdings um alles
andere als eine spontane Bekundung von Sympathien für das Regime, sondern um das, was
man klassischer Weise unter den agent provocateur subsumiert.
Es wird berichtet, daß man bei Teilnehmern dieser Unterstützermärsche Polizeiausweise fand,
daß man Polizeifahrzeuge sah, die Molotowcocktails „an die Front“ transportierten.
Es spricht also viel dafür, daß diese regimefreundliche Gegenbewegung nichts anderes war als
von oben, durch Geheimdienst und Sicherheitsorgane organisiert, um Gewalt zu sähen,
Gewalt zu provozieren.
Daß dies ein Spiel mit dem Feuer ist, dürfte offensichtlich sein. Warum aber tut das Regime
dies? Bringt die Gewalt, die bürgerkriegsähnlichen zustände erst zum Ausbruch? Kann man
so dumm sein, diese Gefahr nicht zu erkennen?

Es ist alles andere als dumm, vielmehr ein Zeichen einer gewissen Verzweiflung, oder sogar
Ausweglosigkeit, das Regime hat keine andere Wahl, als diesen Schritt zu gehen.

Versetzen wir uns in die Lage hinein:

Die Rede Mubaraks, mit welcher er ankündigte, noch bis zum Ablauf seiner Amtszeit zu
bleiben, bewirkte alles andere als eine Beschwichtigung des Protestes. Die Idee hinter diesem
Bekunden ist natürlich allzu offensichtlich. Mubarak hoffte, man würde sich damit
zufriedengeben, nach Hause gehen, so daß er bis September Zeit gewonnen hätte, um seine
Kräfte, insbesondere das Militär wieder hinter sich und die Situation unter Kontrolle zu
bringen, hoffte, bis dahin würde dem Protest der Elan ausgehen.
Natürlich wurde der Aufstand damit nicht zum Verstummen gebracht, da jedem intuitiv
bewusst ist: entweder jetzt oder nie, sonst ist der Mantel der Geschichte vorübergeflogen und
diese historische Möglichkeit vertan. Ganz abgesehen davon, daß man nicht auf die Straße
gegangen ist, damit Mubarak seine „Legislaturperiode“ ordnungsgemäß zu Ende bringt und
dann in Rente geht – nein, es bedarf des historischen Zeichens, des Symbols, zum Erfolg des
Umsturzes: Mubarak muß sofort weg.
Dachte Mubarak, sein Entgegenkommen würde tatsächlich Erfolg haben und die Massen
befrieden, so muß man ihm wirklich unterstellen, daß er über dem Boden der Tatsachen
schwebt und naiv ist.
Unterstellt man ihm dies nicht, dann unternahm er diesen Schritt ganz bewusst, um
offenkundig seinen guten Willen, sein Entgegenkommen zu bekunden, um später einmal
behaupten zu können, an ihm habe es nicht gelegen, er sei zu einer geregelten Übergabe der
Macht bereit gewesen.

Sei es wie es sei, hinter diesem Anerbieten wird aber eines deutlich, daß das Regime nicht
anders kann, da es auf sein Militär, das einzig noch organisierte und funktionsfähige
Machtmittel nicht mehr bauen kann. Daß dies also Mubarak zwang, wenigstens halbherzig,
aus welchem der beiden Motive auch immer, auf die Protestbewegung zuzugehen. Fakt ist,
daß das Ziel dieser Rede nicht aufging, das Volk auf den Straßen blieb. Fakt ist aber auch, daß
zumindest neben dem Volk das Militär ebenfalls Adressat dieser Rede gewesen ist.

Was blieb also, nachdem dieses „freiwillige“ Anerbieten, mit Ablauf der Amtszeit zu
scheiden, nicht fruchtete und das Volk wieder zurück in die Wohnungen brachte, an
Handlungsalternativen?

Natürlich die für den Außenstehenden naheliegendste, die Konsequenzen zu ziehen und
abzudanken. Das dies aus Sicht Mubaraks natürlich keine Option ist, liegt auf der Hand.
Welcher Diktator tritt schon freiwillig zurück, gibt sich geschlagen, immerhin hat er viel zu
verlieren, bis hin zu seinem Leben.

Die letzte Alternative: Man versucht den Spieß umzudrehen, den schwarzen Peter der
Protestbewegung zuzuschieben, sie zu provozieren, damit sie sich zu Gewalttätigkeit
hinreißen lässt. Warum? Nebeneffekt ist die Verbesserung der moralischen Position in der
Selbstdarstellung: Seht her, wir haben nicht angefangen, es waren die anderen.
Natürlich kann man auch fingieren, daß es nicht nur Gegner gibt, sondern auch Unterstützer
des Regimes, um so nach innen wie nach außen ein Signal zu setzen.
Beides ist aber, wenn überhaupt, nur zweitrangig.
Die Zielrichtung ist eine andere, das Militär.
Dieses ist mehr als das Zünglein an der Waage, es ist der Faktor, welcher den Ausschlag
geben wird, wer am Ende den Sieg erringen und sich behaupten wird.
Das Militär aber steht derzeit scheinbar zwischen den Fronten. Es hat erklärt nicht auf die
Bürger zu schießen, seine Panzer stehen aber auf den Straßen und stellen eine latente
Bedrohung der Protestbewegung dar. Es rührt sich nicht, kann aber urplötzlich in der
Unberechenbarkeit der Situation anrollen lassen und den Aufstand in einem Blutbad
ertränken.
Für beide Seiten ist es also von exorbitanter Wichtigkeit, sich des Rückhaltes der Armee zu
vergewissern. Auch die Demonstranten wissen das, spüren dies instinktiv, klettern auf die
Panzer und suchen die Verbrüderung mit den Soldaten. Und schaut man in die Gesichter der
einfachen Soldaten, so sieht man denselben Ausdruck in ihren Augen wie in denjenigen ihrer
Kameraden auf dem Platz des himmlischen Friedens, auf den Straßen Moskaus, als die
Nomenklatura zu putschen suchte: Unsicherheit und Angst. Angst vor der Situation, dem
Adrenalin, das auf den überfüllten Straßen in der Luft liegt, Angst vor den Vorgesetzten,
Angst vor dem Befehl, der gegeben werden könnte, auf die eigenen Landsleute zu schießen.
Und je länger das Militär auf den Straßen ist, in direktem Kontakt mit den Demonstranten,
desto größer wird die Gefahr, daß sich die einfache Soldateska mit dem Protest, ihren Leuten
verbrüdert, außer Kontrolle gerät, den Gehorsam verweigert.
Das weiß die Generalität, sie weiß, daß sie kaum den Befehl zum Einschreiten geben kann,
ohne die Armee zu spalten. Allein schon deshalb hält sie sich zurück, um ihr Instrument, die
Armee intakt zu halten, um so bestimmender Faktor in diesem großen Spiel zu bleibe. Die
Armeeführung kann also kaum anders, sie steht nicht nur zwischen den Fronten, sie muß sich
faktisch heraushalten.
Was bleibt der politischen Führung also anderes übrig, sich der Unterstützung des Militärs zu
vergewissern, indem man die Armee zwingt, auf der eigenen Seite ins Geschehen
einzugreifen, und zwar so schnell als möglich, bevor der Virus des Protest in breiter Front auf
die Mannschaften übergesprungen ist.

Die organisierte Pro – Mubarak – Demonstration und die von ihr ausgehende Gewalt ist also
weniger Zeichen der Stärke, weniger ein Signal an den Gegner oder ans Ausland, um sich
seiner eigenen Kräfte zu vergewissern, als vielmehr Zeichen der Schwäche des Regimes.
Denn es ist der Versuch, die Gewalt in die Reihen des Umsturzes zu tragen, damit das Militär
gezwungen wird, Farbe zu bekennen, sich gegen den Umsturz zu stellen, den erhofften
provozierten Gewaltausbruch niederzuschlagen und damit das Regime zu retten. Das Militär
soll in eine alternativlose Lage gebracht werden, indem die Situation bewusst zur Eskalation
gebracht wird.

Ob die Rechnung aufgeht, werden die nächsten Tage zeigen. Zweifel sind aber bereits nach
diesem Tage angebracht, denn der Versuch war allzu offensichtlich und die Armee blieb in
beide Richtungen bisher vollkommen untätig. Dies dürfte wohl weniger als wohlwollende
Duldung der Angriffe der Regimeanhänger zu deuten sein, als vielmehr als unsicheres
Abwarten, da die Führung ahnt, wenn sie die falsche Seite wählt, die Kontrolle über die
eigene Truppe verlieren zu können.

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