Sarrazynismus - voll im Trend?

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polis
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Sarrazynismus - voll im Trend?

von polis am 06.10.2009 13:49





Sarrazynismus - voll im Trend?


von Frank Happel

Der Mann ist ein bundesweit verrufener Wiederholungstäter. So einer frisst auch kleine Kinder. Der Staatsanwalt ermittelt und seine Fangemeinde wächst. Das aktuelle Interview des Thilo Sarrazin in der Oktoberausgabe des Berliner Kulturmagazins Lettre International verschreckt Leser, Medien, Betroffene, Teile der Politik und auch seine Kollegen zutiefst. Andere jubeln. Laut. Und lauter.

Als Finanzsenator in Berlin genoss der Mann unter der schützenden Hand des Regierenden umfänglichste Narrenfreiheit. Die er sich auch umfänglichst nahm. Er durfte Lästern, Pöbeln, Beleidigen, um sich treten. Meistens trat er nach unten. In die Unterschicht. Empörte Kritik als Ernte ? aber auch reichlich Beifall. Hauptsächlich von Rechten, Neoliberalen und denen die denken, dass sie etwas zu verlieren, also zu verteidigen haben. Aber ? alles gerade noch im Rahmen einer belastbaren Erträglichkeit. Man konnte den Mann in seiner geistigen Notverfassung herunterspielen. Man durfte sogar über ihn lachen. Das half, lies ertragen und auch wieder vergessen.

Bis auf einen - ihn selbst. Der Mann will ernst genommen werden. Der Mann will Recht haben. Sarrazin glaubt was er sagt. Er kann nicht über sich selbst lachen. Er legt nach. Und wie. Besagtes Interview ist in den letzten Tagen ausführlichst besprochen, kritisiert, analysiert, verstanden und missverstanden worden. Es findet höchste bundesweite und auch internationale Resonanz. Die Empörung schlägt Wellen, einerseits - aber die klammheimliche Freude der Freunde Sarrazins wächst und wird lauter. Ebenso wird es aber zu wenig gedeutet. In Zusammenhängen unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in gegenwärtiger Realität und absehbarer Zukunft, betreffend.

Sarrazin setzt einen neuen Trend. Nennen wir ihn Sarrazynismus. Ehre wem Ehre gebührt.

Dass der Vordenker und Namensgeber als ausgewiesener ?exzellenter Finanzfachmann? daherkommt und wohl von daher Menschen und sozialen Gruppen ihren Wert vor allem an verursachenden Kosten und messbaren Erträgen beimisst, verwundert vielleicht nicht. Allerdings lassen seine Schlüsse daraus immer wieder gruseln. Fernab jeglicher humanistischer Grundbildung und ethischer Würdevorstellung betrachtet er Hartz-IV-Empfänger als Klotz am Bein unserer Gesellschaft. Seine Ignoranz gegenüber neuer Armut und immer weiter auseinanderklaffenden Einkommensverhältnissen ist immanent. Sozial schwache Gruppen sind für den Sarrazynisten überflüssig hoch subventionierte Barrieren einer, sich so nicht erholen könnenden, gebeutelten Gesellschaft.

Nun geht Sarrazin im Interview einen wesentlichen Schritt weiter. Von den vielen Kommentatoren kaum bemerkt und ergo nicht besprochen, sagt er im Zusammenhang der höheren Geburtenrate von Migrantenfamilien: ? ?. Man muss davon ausgehen, dass menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich. Der Weg, den wir gehen, führt dazu, dass der Anteil der intelligenten Leistungsträger aus demographischen Gründen kontinuierlich fällt. So kann man keine nachhaltige Gesellschaft bauen, das geht für ein, zwei, drei Generationen gut, dann nicht mehr. Das klingt sehr stammtischnah, aber man kann das empirisch sehr sorgfältig nachzeichnen......

Das klingt nicht ?recht stammtischnah?, das ist Rassismus. Pur! Der Bundesbankvorstand verbindet sozialökonomischen Zynismus mit klarem eindeutigem Rassismus. Hier zielt er insbesondere auf türkischstämmige und arabische Migranten. Völlig aus Zusamenhängen gerissene Zahlen und unter den Tisch fallen lassende Fakten nutzt er, um in übelster fremdenfeindlicher Manier auf ganze Bevölkerungsgruppen einzuschlagen. Ja, der Staatsanwalt ermittelt. Wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung. Zu recht.

Es ist aber nun wohl genau diese Mischung, welche dem Mann eine sehr hohe Zustimmung verschafft. Die Leserbriefspalten der Printmedien, sowie die Foren der social-networks, Blogs und diverser Communitys im Netz laufen über von sich outenden, neuen Sarrazynisten. Sie fühlen sich bestens bedient und kommen aus der Deckung. Es sind die Forderer nach einfachen Lösungen ihrer Probleme, der Probleme eines von der Krise geschüttelten Landes. Mit völlig ungewisser Perspektive und entsprechenden Ängsten der Menschen. Sie dürfen ?Schuldige? erkennen, sie benennen, brandmarken und wohl künftig auch bekämpfen. Wer keine Fähigkeit zur differenzierten Auseinandersetzung besitzt, das sind sehr viele, ist dankbar für das Feindbild. Sarrazin liefert. Er macht rassistischen Fremdenhass salonfähig. Was rechte Hassprediger so niemals schaffen ? er kriegts hin.
Der Tenor der Neubewegten: ??. vielleicht spitzt der Mann doch stark zu ? in der Sache hat er aber recht.?
Nein! Hat er nicht. Die Ursachen für soziale Ausgrenzung und ständig steigende gesellschaftliche Armut, die mit ca. 30% überdurchschnittlich von Armut betroffenen Migrantinnen und Migranten sind Ergebnis von Jahrzehnten gesellschaftlicher Benachteiligung sozial schwacher Gruppen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt. Darüber gibt es relevante, empirisch nachvollziehbare Zahlen, Herr Sarrazin.

Der elitäre Anspruch von Sarrazynisten sich mittels restriktiver und auch grundgesetzfeindlicher Politik gegen ganze Bevölkerungsgruppen zu stellen, sie auszugrenzen und vorzuführen ist spalterisch. Eine gespaltene Gesellschaft ist nicht überlebensfähig. Sie ersäuft in ihren Konflikten. Und solche Konflikte werden auch niemals friedlich bleiben.

Die Sarrazynisten müssen schleunigst ihre geistige Selektionsrampe räumen.

In unser aller Interesse.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 31.08.2018 15:30.

phantadu

-, Weiblich

Beiträge: 723

Re: Sarrazynismus - voll im Trend?

von phantadu am 09.09.2010 12:57

Dieser Artikel bringt es auf den Punkt!

Antworten Zuletzt bearbeitet am 09.09.2010 21:00.

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