"Mit Gorleben kommen sie nicht durch – Rote Karte für Atomkraft!"

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polis
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"Mit Gorleben kommen sie nicht durch – Rote Karte für Atomkraft!"

von polis am 08.11.2010 18:01




"Mit Gorleben kommen sie nicht durch – Rote Karte für Atomkraft!"
Ein Reise- und Demobericht von polis-Mitglied phantadu


Bei der Großkundgebung zum Auftakt der Proteste gegen den Castor-Transport ins Wendland protestierten am Samstag laut Angaben der Veranstalter an die 50.000 Menschen gegen die Atompolitik der Bundesregierung. Phantadu war auch dabei.

Ein einziger Reisebus stand für diesen Tag von München nach Danneberg zur Verfügung, bereitgestellt von den Grünen. Alle anderen Parteien und Gewerkschaften hatten sich diskret bei der Mobilisierung und Organisation zurückgehalten. Der extra dafür vorgesehene Zug wurde ein paar Tage zuvor abgesagt, und die Mitfahrzentrale konnte die Nachfrage nicht decken. Manche waren deshalb schon Tags zuvor über Hamburg gefahren, und so einige Protestwillige blieben mangels Transportmöglichkeiten dann doch daheim. Eine Schande, wenn man bedenkt, wie hoch der Anteil Bayerns an dieser Atompolitik und an der Produktion von Atomstrom ist.

Kurz nach 1 Uhr nachts fuhren wir paar Hanseln dann am Samstag los. Wegen der schlechten Wetterprognosen war die Erwartung ziemlich gedämpft. Angekündigt war für diesen Tag Dauerregen, starker Wind und Kälte. Zudem war uns natürlich bewusst, dass es auch schon bei der Auftaktskundgebung zu Eskalationen kommen könnte. Ein gemütliches Wochenende stellt man sich anders vor, und angesichts der zu erwartenden Strapazen versuchten wir in dem doch sehr beengten Reisebus wenigstens etwas zu schlafen. Als ich meine Augen wieder öffnete, fuhren wir gerade an kilometerlangen Windkraftparks vorbei. Ein Anblick, der schon wirklich fast was Absurdes:

Der Weg nach Gorleben, geflastert mit jeder Menge Alternative zu Atomstrom...

Als wir dann so gegen 9 Uhr in der Nähe von Danneberg auf einer schmalen Landstraße anhielten, war weit und breit außer Feld und Flur noch nichts und niemand zu sehen. Wir waren offensichtlich die ersten, die mit einem Reisebus angekommen waren. Nach einer kurzen Absprache rüsteten wir uns mit unseren Fahnen, schmückten uns mit Anti-AKW-Accessoires und machten uns auf den etwa 5 km langen Weg in Richtung der Ortschaft Splietau, wo die große Demonstration stattfinden sollte. Und das ganz ohne vorherigen Kaffee! Als Nichtberufsdemonstrantin gestehe ich eine doch real existierende Wohlstandsverwöhntheit, die erst dann bewusst wird, wenn alltägliche Selbstverständlichkeiten wie Dusche, Bett und Kaffee eben nicht zur Verfügung stehen. Obwohl wir natürlich alle von der Nachtfahrt im Sitzen gerädert waren, hob sich dennoch die Laune schnell. Denn allen Unkenrufen zum Trotz hatte es aufgehört zu regnen, und auch der Wind war verstummt. Der Himmel war zwar stark bewölkt, aber wenn das den Tag über so bleiben würde, wären wir alle mehr als zufrieden.

Nach einer dreiviertel Stunde kamen wir an. Mehrere Stände boten uns für eine Spende Kaffee und Frühstück an. Damit war dann mein Tag gerettet. Wir wurden wirklich herzlich willkommen geheißen und durften uns als erste an den liebevoll angerichteten Buffets selbst bedienen. Alles war noch in emsiger Vorbereitung, denn erst um 13 Uhr würde die Auftaktkundgebung beginnen.

Die Zeit bis dahin verging schnell. Immer mehr füllte sich das Gelände, rege Unterhaltungen und viel gegenseitige Wertschätzung sorgten schnell für ein ausgeprägtes Wirgefühl. Die gemeinsame Überzeugung, dass wir diesem Protest gegen die rücksichtslose Atompolitik mit Nachdruck Ausdruck verleihen wollten, verband uns alle. Dies war wirklich eine kämpferische Veranstaltung, denn wir waren gekommen, um zu zivilem Ungehorsam aufzurufen. Dieser sei, so war allgemeiner Tenor, geradezu Pflicht, angesichts einer Regierung, die es gewagt hatte, der Demokratie so derart dreist die rote Karte zu zeigen.

So nach dem Motto: „Man lasse dem Volk die Demokratie nur solange, solange sie nichts bewirken kann“, haben wir insbesondere bei der Atompolitik ein politisches Verfahren gegen den Willen der Mehrheit des Volkes erleben müssen, das selbst konservative Bürgerschichten zutiefst erschüttert hat. Die Absicht, dauerhaft Widerstand zu leisten, lag spürbar in der Luft. Dies war also keine nette kleine Kuschel-Demo, nein, dies war eine mehr als klare Kampfansage an die Regierung. Ob und wie viele auch gewaltbereite Demonstranten unter uns waren, kann ich nicht einschätzen. Mir begegnete keiner. Die ich traf, waren alle nicht scharf auf Knüppel, Wasserwerfer und Pfefferspray und so konnten wir nur auf einen friedlichen Verlauf hoffen und selbst für gute Stimmung sorgen. Die wuchs. Je voller das Gelände wurde, desto besser wurde sie.

Als der Auftakt dann endlich um 13 Uhr begann, brachen in Teilen dann sogar die düsteren Wolkenschichten auf, und strahlend blauer Himmel zeigte sich. Die Temperaturen stiegen an, und so wurde es uns nicht nur im Herzen immer wärmer. Glück muss der Mensch haben! Und wir hatten es.

Den restlichen Nachmittag setzte sich die Sonne durch; nur am Horizont sah man dichte Wolkenbänke. Die Eröffnung fand ich großartig. Eine sehr lebhafte Trommelgruppe sorgte für einen sehr temperamentvollen Einstieg, und mir persönlich wäre es sehr schwer gefallen, dabei nicht im Rhythmus mitzuschwingen. Die Reden waren gut hörbar, obwohl die ersten Stunde ständig Hubschrauber über uns hinwegflogen. Diese Geräuschkulisse von oben störte. Aber so bekamen wir auch ein Gefühl davon, wie sehr wir tatsächlich unter strengster Beobachtung standen. Etwas verwundert stellten wir allerdings fest, dass kaum Polizisten zu sehen waren. Waren denn nicht insgesamt 16000 angekündigt? Wir witzelten etwas. Denn erwartet waren gerade mal 30000 Demonstranten. Mit wem würde ich mir im Fall des Falles wohl meinen Polizisten teilen?

Wie eine unsichtbarer Schatten schwebten die Einsatzkräfte über uns und verbargen sich ansonsten noch im Hintergrund. Wehe, wenn es irgendwo eskalieren würde. Aber wenn man sich dann so in der riesigen Menge umsah, konnte man doch wieder beruhigt sein. Viele Ältere, Kinder und sogar stillende Mütter mit ihren Säuglingen waren mit dabei, um kollektiv den eisernen Willen gegen diese Atommafia zum Ausdruck zu bringen. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die angesichts der Massen bei Eskalation nicht mehr zu stoppen gewesen wäre. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn es wirklich zu einem Krawall gekommen wäre. Doch so sehr es eben auf der einen Seite angesichts des Risikos bedenklich war, dass auch so viele Kinder dabei waren, so sehr befriedeten sie das ganze auch.

Es wurde ein sehr schöner Nachmittag. Viel Applaus, viel Mutmachen, viel kämpferische Emotion. Später verließ ich mit einer kleinen Gruppe das Gelände, um die Traktoren anzusehen, mit denen die Bauern die Straße durch Splietau versperrt hatten. Kurz zuvor war auf dem Camp durchgesagt worden, dass sich alle umliegenden 600 Bauernhöfe an der Demonstration beteiligt hatten. Das war für uns geradezu überwältigend. Bei uns in Bayern wäre so was wohl unvorstellbar. Das war wirklich das absolute i-Tüpfelchen der ganzen Veranstaltung. Die Traktoren standen querbeet über der Straße durch den Ort und legten alles komplett lahm. Durchkommen war auch für uns Fußgänger mit ständigen kleinen Hürden verbunden. Dazu kam, dass wir uns inzwischen immer wieder auch an Einsatzkräften der Polizei vorbeischlängeln mussten. Deren Mimiken waren auffällig unterschiedlich. Die einen schauten uns wirklich offenherzig, freundlich und beinahe schon zunickend an, während andere ein Gesicht zogen, als würden sie es gar nicht abwarten können, uns eine auf die Fresse zu geben. Die Knüppel, die sie allesamt bei sich trugen, erfüllten zweifelsohne ihre abschreckende Wirkung. Der eine oder andere spielte etwas mit dem Knüppel und zeigte damit demonstrativ die Bereitschaft, ihn auch jederzeit einzusetzen.

Gut gerüstet waren die Jungs und Mädels auf alle Fälle. Inzwischen hatten sie überall Wege mit rundem Stacheldrahtgeflecht abgegrenzt, trugen Schutzhelme und waren offenbar ausgezeichnet auf das Schlimmste vorbereitet. Plötzlich standen sie wirklich überall am Wegerand. Da ich selbst nur friedliche Absichten hatte, fing ich an, diverse Einsatzkräfte einfach anzusprechen. Und zu meinem Entzücken musste ich feststellen, dass wirklich viele von ihnen aufrichtige Sympathisanten von uns waren, die auch ihren Zwiespalt zum Ausdruck brachten. Aber auch die uns Wohlgesonnenen ließen keinen Zweifel, dass sie ihre „Pflicht“ erfüllen würden.


Der Rückweg durch das Meer der Traktoren war dann angesichts uns entgegenkommender Traktor-Bewunderer, etwas langwieriger. Zweifelsohne war das ganze wirklich auch amüsant. Die Traktoren waren jedes für sich auf alle Fälle Hingucker.

Wieder am Gelände, erfuhr ich, dass inzwischen irgendwo die Straße geschottet worden, dabei ein Stein geflogen sei, und die Polizei etwa 20 Personen eingekesselt und verhaftet haben soll. Keiner wusste was Genaueres, keiner hatte was gesehen. Wir konnten uns aber alle nicht vorstellen, dass wirklich jemand so blöd gewesen sein sollte, mit Steinen zu werfen. Ein mulmiges Gefühl kam auf. Da hörten wir auch schon von der Tribüne aus den Aufruf an die Polizei, das Camp zu verlassen, da dies eine angemeldete Veranstaltung sei, und die Polizei nichts auf dem Gelände zu suchen habe. Diese sollten es sofort verlassen. Aber ich konnte bei diesen Worten Gesichter von Polizisten sehen. Besonders einer konnte sein mehr als breites Grinsen nicht mehr verbergen. Da wusste ich, dass die uns bestimmt nicht fürchteten. Wieso auch?

Aber sie bewiesen dann doch ein hohes Maß an Souveränität, denn sie ließen so einige verbale Frechheiten und Provokationen einfach an sich abprallen. Auch ihnen war wohl bewusst, dass schon ein kleines Feuer einen Flächenbrand auslösen könnte. Insofern regte mich das aggressive Verhalten dieser wenigen Protestanten, die ihre Verachtung gegenüber der Polizei verbal massiv zum Ausdruck brachten, schon etwas auf. Die tun auch nur ihren Job. Sie haben diese Politik nicht zu verantworten und so manche von ihnen wären sicher froh gewesen, wenn sie sich auf unserer Seite positionieren hätten können. Ich finde es sehr kindisch, wenn man ohne Not das eh sehr hohe Konfliktpotential auch noch künstlich hochputscht und mit mehr als unflätigen Beleidigungen aufheizt. Was soll das? Meint irgendjemand von denen, dass damit die Knüppelschläge im Fall des Falles weniger schmerzhaft sein würden? Wer friedlich demonstrieren und nur passiven Widerstand leisten will, reizt den „Bullen“ doch nicht vorher schon bis zur Weißglut, oder?

Aber auch da grinsten die Polizisten bestenfalls, ansonsten blieben sie in ihren Formationen diszipliniert stehen.

Ich kam an einem Traktor mit lauter Bananen vorbei und nahm dankend an. Dazu bekam ich einen gelben Zettel auf dem stand: Atomlobby kauft Politik: Deutschland ist Bananenrepublik. Wie wahr!


So langsam neigte sich dann die Sonne gen Westen. Wir wussten, dass wir noch einen weiten Weg zu den Reisebussen hatten, und die Wege weder markiert noch beleuchtet sein würden. Zudemheißt es wohl nicht ganz zu Unrecht: Nirgendwo in Deutschland seien die Nächte dunkler als um Gorleben. Insofern wurde von der Tribüne aus das Ganze allmählich zu einem Abschluss gebracht. Erneut wurden wir eingeladen zu bleiben, da noch für mehrere Hundert Leute Übernachtungsplätze zur Verfügung gestellt werden könnten. Leider waren viele darauf nicht vorbereitet. Weder an Kleidung zum Wechseln, noch an Schlafsäcke hatten diejenigen gedacht, die nicht schon im Vorfeld bis Montagabend bleiben wollten. Zudem gab es dann auch keinen Bus mehr zurück. Aber es hieß, dass die Wendländer denen, die bleiben würden, auch dahingehend behilflich sein würden. Uns juckte es fast alle doch zu bleiben. Denn eines war uns klar: der heutige Tag war nur die gelungene Eröffnung, aber es würde mit Sicherheit noch heiß hergehen. Und je mehr Leute bleiben würden, desto erfolgreicher würde der Castortransporter behindert und auch gestoppt werden können. Mit eher schalem Gefühl machten wir, die wieder heim mussten, uns also langsam auf den Rückweg. Wir verabschiedeten unsere Helden, und drückten für die, die stellvertretend für uns alle blieben, ganz fest die Daumen. Wir wussten alle, dass das, was unsere Freunde die nächsten Tage erleben, gewiss kein Zuckerschlecken sein würde...

Ziemlich fertig kam ich bereits im Dunkeln am Reisebus an. Hätte die lange Schlange von Reisebussen nicht eine Art Lichterkette gebildet, so hätten wir sie in dieser tatsächlich extremen Dunkelheit niemals finden können. Also was das anging, war die Organisation wirklich miserabel. Wenigsten kleine Wegbeleuchtungen hätten sie uns doch bieten können! Nicht auszudenken, wenn jemand in der zu erwartenden eiskalten Nacht sich dort in der Dunkelheit verirrt und den Anschluss zum Bus nicht mehr gekriegt hätte. Insofern warteten wir gespannt auf die, die noch kommen sollten. 7 Personen, so hieß es, würden in Danneberg bleiben, um bei der Ankunft des Castor am Montag dabei zu sein.

So langsam trudelte einer nach dem anderen trudelte ein, bis wir vollzählig waren. Und zu unser aller Freunde hatten die beiden Busfahrer ausreichend Bier dabei.. Den meisten von uns war nach Anstoßen, nach so einem ereignisreichen Tag, immer nur auf den Beinen und ausgepowert von der frischen Luft. Im Bus selber wurden wir dann erstaunlich schnell wieder putzemunter. Waren wir auf der Hinfahrt alle noch etwas wortkarg, so waren wir nun eine zusammen geschweißte Gruppe, die definitiv etwas ganz besonderes gemeinsam erlebt hatten. Wir alle nehmen diese Energie von Danneberg mit. Und in unseren Gedanken sind wir bei denen, die wir dort zurückgelassen haben. Wir bewundern euch für euren Mut, eure enorme Einsatzbereitschaft. Ohne euch würde das alles jetzt reibungslos von statten gehen, und für die Regierung und die Einsatztruppen wäre es ein Leichtes, diese Castoren nach Gorleben zu bringen. Wir danken euch, dass ihr für uns alle auch eure Gesundheit aufs Spiel setzt. Wir wissen, dass jeder von euch für uns alle ein hohes Risiko eingeht und wohl nicht jeder von euch mit einem blauen Auge davon kommen wird. Auch wenn wir jetzt im Gemütlichen hocken, so sollt ihr wissen, dass wir im Herzen bei euch sind, und dass wir mit unseren Aktionen nicht mehr enden werden, bis auch das letzte AKW endlich vom Netz gegangen ist. Wir werden uns wiedersehen. Spätestens nächstes Jahr in Gorleben! In diesem Sinne

Liebe Grüße! Eure Phantadu

Fotos folgen in Kürze

Antworten Zuletzt bearbeitet am 08.11.2010 18:02.

Erzengel

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Beiträge: 83

Re: "Mit Gorleben kommen sie nicht durch – Rote Karte für Atomkraft!"

von Erzengel am 09.11.2010 19:50

Nächtes jahr bin ich auch dabei!

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