Mehr Sachlichkeit, weniger Instrumentalisierung der Geschichte

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Mehr Sachlichkeit, weniger Instrumentalisierung der Geschichte

von redaktion am 17.06.2010 10:06




Mehr Sachlichkeit, weniger Instrumentalisierung der Geschichte


Lötzsch

Die Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, erklärt zum
Jahrestag des Aufstandes am 17. Juni 1953:

In seinem beim Erscheinen 1974 in der Bundesrepublik Deutschland weithin
gefeierten Buch "Fünf Tage im Juni" lässt Stefan Heym, der 1945 auf
amerikanischer Seite an der Befreiung Deutschlands vom Faschismus
beteiligt war und 1994 als Alterspräsident des Bundestages von der
schwarz-gelben Regierungskoalition mit dem eisigsten und zugleich
peinlichsten Schweigen der Bundestagsgeschichte bedacht wurde, seinen
Protagonisten Witte am Abend des 17. Juni sagen: "Die Weltgeschichte hat
sich den Spaß erlaubt, von uns zu verlangen, dass wir den Sozialismus
in einem Drittel eines geteilten Landes aufbauen, und das mit Menschen,
die sich den Sozialismus keineswegs alle gewünscht haben. Wie viel von
der Abneigung gegen die Partei hat seinen Grund nicht in ihren Fehlern,
sondern in ihren Zielen?"
Heyms Buch zeichnet sich durch die Erfassung der Widersprüche aus, und
die Widersprüchlichkeit dieses Tages ist durch Gesinnungsjournalismus
nicht wegzuräumen. Auch dann nicht, wenn Meinungsmachern daran gelegen
ist, zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR in jenem 17. Juni 1953 nichts
anderes zu sehen als einen Baustein der Delegitimierung des anderen
deutschen Staates von Anfang an. Der 17. Juni ist nicht zu begreifen
ohne den von beiden Seiten aufs Heftigste geführten Kalten Krieg, nicht
ohne Adenauer, nicht ohne die Turbulenzen in der Sowjetunion nach
Stalins Tod und ohne den gewaltigen Druck, den die sowjetische Führung
auf die DDR in Sachen Reparationsleistungen ausüben zu müssen glaubte.
Er ist nicht zu begreifen ohne die Frontstadt Westberlin und die - von
Heym in seinem Buch vielmals zitierte - von der Politik und den Medien
getragene Einflussnahme des Westens.
DIE LINKE hat aus den Fehlern der SED gelernt. Die Verfolgung von
Sozialdemokraten, Kommunisten und Andersdenkenden, die Geringschätzung
der Demokratie, die überstürzten Beschlüsse zum Aufbau des
Sozialismus, die Umfunktionierung der Gewerkschaften von selbständig
agierenden Interessenvertretern der Arbeiter zu Ausführungsorganen der
SED – all das waren Ursachen für die gesellschaftlichen Explosionen
des 17. Juni. Und an die Fehler, die zum 17. Juni führten, reihte sich
nach diesem Tag einer, der für die weitere Entwicklung der DDR zu einem
bestimmenden wurde: Das Schweigen über diesen Tag. Heyms Buch blieb in
der DDR unter Verschluss. Die Chance, aus Fehlern zu lernen, wurde
vertan.
Aber die Wahrheit ist auch: Am 17. Juni 1953 lag das Ende des 2.
Weltkrieges gerade einmal acht Jahre zurück. Wer aus Geschichte lernen
will, tut gut daran, sich dieser Zeit in ihrer Gesamtheit zu nähern.
Wer an die Stelle des Verschweigen dieses Tages durch die DDR-Führung
heute die einseitige Überhöhung zum "Volksaufstand" setzt, tut nichts
anderes, als die eine Instrumentalisierung durch eine andere zu
ersetzen. Mit einem souveränen Umgang mit der deutschen Geschichte hat
das nichts zu tun. Wer Bundespräsident in unserem Land werden will,
sollte diese Souveränität mitbringen.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 17.06.2010 10:07.

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