Düsseldorfer Erklärung - Grüner Aufbruch statt geistig-politischer Leere

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Düsseldorfer Erklärung - Grüner Aufbruch statt geistig-politischer Leere

from redaktion on 01/12/2010 04:56 PM



polis - Dokumentation


Gemeinsame Erklärung des Bundesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und von Sylvia Löhrmann, Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen von BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN

Düsseldorfer Erklärung
Grüner Aufbruch statt geistig-politischer Leere

Wir stehen 2010 vor gewaltigen politischen Herausforderungen: der
Wirtschafts- und Finanzkrise, der Klimakrise und der globalen
Gerechtigkeitskrise. Der dramatisch voranschreitende Klimawandel
erfordert ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf unser Wirtschafts-
und Gesellschaftsmodell sowie der Frage der globalen Gerechtigkeit. Auch
wenn diese Notwendigkeit mittlerweile erkannt ist, folgt daraus bei
weitem noch nicht das notwendige politische Handeln, wie das Desaster
von Kopenhagen gezeigt hat. Mit ihrer Weigerung, weder in Deutschland
noch auf europäischer Ebene mit einem ehrgeizigen Klimaschutzprogramm
voranzugehen und ein angemessenes Ausgleichsangebot an die Schwellen-
und Entwicklungsländer zu machen, hat Angela Merkel das Trauerspiel von
Kopenhagen mitverschuldet. Statt auf einen Grünen New Deal setzt die
Regierung mit einem möglichen Rollback in der Atompolitik neue
Arbeitsplätze aufs Spiel.

Aus dem Zusammenbruch der Finanzmärkte, deren völliger Kollaps weltweit
nur mit unvorstellbaren Milliardensummen aus Steuermitteln verhindert
werden konnte, sind immer noch nicht die nötigen Konsequenzen gezogen
werden. Das Kasino läuft schon wieder auf Hochtouren und die BürgerInnen
bleiben auf den Kosten der Krise sitzen. Es fehlen immer noch die
nötigen Regulierungen der Finanzmärkte, um eine nächste Krise zu
verhindern. Dabei leiden unter den Folgen der Krise besonders
diejenigen, die es ohnehin schwer haben: Familien mit geringem
Einkommen, Alleinerziehende, Arbeitslose und Bedürftige. Dadurch wird
unsere Gesellschaft zunehmend ungerechter, was durch das immer noch nach
sozialen Schichten zementierten Bildungssystems verschärft wird. Wer
heute in einer Familie lebt, in der die Eltern arm und gering gebildet
sind, hat in unserem blockierten Bildungssystem kaum Chancen, seine
Möglichkeiten wirklich zu entfalten. Das Leben in der Armutsfalle über
mehrere Generationen ist die Folge. Vor allem für Frauen wirkt sich die
zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft immer verheerender aus.

Schwarz-Gelb begegnet diesen fundamentalen Herausforderungen mit den
Rezepten von gestern. Die sogenannte geistig-politische Wende steht vor
allem für geistig-politische Leere. Die Ära Kohl ist zurück. Der
schwarz-gelbe Fehlstart zeigt: Diese Regierung ist der Krise nicht
gewachsen. Sie knüpft dort an, wo sie 1998 aufgehört hat und sie
verhindert die notwendige Modernisierung des Landes – teilweise mit dem
gleichen Personal. Wirtschaftskrise, Klimakrise, Bildung, Demographie,
Gerechtigkeit, Teilhabe: Keine Idee, kein Konzept, kein Projekt. Man
hört wenig, außer dem Gezänk der kleinen Koalitionsparteien. Die
Kanzlerin schweigt so laut, dass das Führungsvakuum in ihrer Regierung
nicht zu überhören ist. Es geht ums Ganze und Schwarz-Gelb verhakt sich
im kleinen Karo. Politik ist gerade in Zeiten geringer finanzieller
Spielräume eine Frage der Prioritäten. Die einzige Priorität, die bei
Schwarz-Gelb bislang wirklich deutlich geworden ist, sind Subventionen
für Hoteliers und Steuergeschenke für Besserverdienende während 1,8
Millionen Kinder von Hartz IV-Empfängern weiter um ihre Chancen gebracht
werden. Die Bundesregierung nimmt bewusst in Kauf, dass die Kommunen
finanziell ausbluten. Die Folge davon sind steigende Gebühren,
Schwimmbäder, die geschlossen werden müssen, Schulen und Kindergärten,
die nicht mit dem Nötigsten ausgestattet werden können oder das Kürzen
von Kulturangeboten. Die FDP verfolgt ein Staatsbankrottprogramm, mit
dem Ziel, die öffentliche Hand auszubluten. Als erstes trifft diese
Strategie diejenigen, die am wenigsten haben.

Politik muss in der Krise Orientierung geben. Wir Grüne haben mit
unserem Bundestagswahlprogramm einen Vorschlag für einen umfassenden
Reformprozess in der Wirtschafts- und Finanz, Klima- und Sozialpolitik
gemacht. Grüne Werte beschreiben die Kernanforderungen an Politik im
neuen Jahrzehnt: ökologisch, solidarisch und demokratisch. Wir machen
keinerlei Heilsversprechen, sondern diskutieren Lösungen offen innerhalb
unserer Partei und mit unseren zivilgesellschaftlichen Bündnispartnern.
Der Umbau im Sinne des grünen Neuen Gesellschaftsvertrags muss in
Gesellschaft und Wirtschaft weitergehen, auch wenn Schwarz-Gelb ihn
bremst. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die schwarz-gelben Jahre
zu vier verlorenen Jahren für das Land werden. Wir haben keine Zeit zu
verlieren. Deshalb wollen und werden wir eine aktive Rolle spielen und
die Entwicklung weiter vorantreiben. Wir begnügen uns nicht mit dem
Erreichten. Wir wollen aufzeigen, wie Klimaschutz trotz des Scheiterns
von Kopenhagen gestärkt werden kann, wie die Folgen der Wirtschaftskrise
und einer verfehlten schwarz-gelben Haushaltspolitik gerade für die
Schwächsten aufgefangen werden können. Wir wollen dafür kämpfen, dass
die Bürgerrechte und der Datenschutz nicht auf der Strecke bleiben und
Teilhabe für viel mehr Menschen möglich wird. Wir wollen aus der immer
wieder verkündeten, aber immer noch blockierten Bildungsrepublik eine
durchlässige Bildungsrepublik machen, in der jedes Kind in seiner
Entfaltung bestmöglich gefördert wird. Gegen den Rückwärtsgang beim
Atomausstieg werden wir auf die Straße gehen. Wenn Schwarz-Gelb beim
Atomausstieg die Uhren zurückdreht, mobilisieren wir alle Kräfte
dagegen. Und wir sind der Anwalt all jener Menschen, die bei sich zu
Hause die Uhren auf Zukunft drehen und sich für Ökostrom entscheiden.

Auch wohin diese Regierung in Afghanistan will, bleibt völlig unklar.
Das intransparente, unehrliche und widersprüchliche Vorgehen, das die
Afghanistan-Strategie der Bundesregierung beherrscht, wurde vor allem
rund um die Bombardierung in Kunduz deutlich. Wir Grünen sind die
einzige Partei, die sich bei Fragen von Krieg und Frieden nicht
wegduckt. Die künftige Strategie, mit der die Regierung die Krise in
Afghanistan lösen will und die sie auf der Londoner Konferenz Ende
Januar vertreten muss, bleibt völlig nebulös. Wir fordern von der
Regierung ein klares Bekenntnis zu und politische Schritte hin zum
Primat des Zivilen.

Bei der Landtagswahl am 9. Mai wollen wir fünf Jahre falsche Politik an
Rhein und Ruhr beenden und die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit brechen.
Im Bund wollen wir gemeinsam mit gesellschaftlichen Bündnispartnern
durch kraftvolle Opposition die schlimmsten schwarz-gelben Chaospläne
verhindern. Wir entwickeln unsere politischen Konzepte und Angebote in
den nächsten Jahren im Dialog mit der Gesellschaft kontinuierlich
weiter, um Mehrheiten für Lösungen zu finden, wie gutes Leben in Zeiten
knapper werdender Ressourcen sozial gerecht möglich ist.

Wir Grüne werden in diesen Tagen 30 Jahre alt, wir haben viel erreicht,
sind aber noch lange nicht am Ziel und werden dringend gebraucht. Sicher
müssen wir gerade unter Schwarz-Gelb noch radikaler werden und lauter
unsere Stimme erheben. Wir sind keine Bindestrich-Partei, die sich über
bestimmte Bündnisse oder Farbenspiele definiert. Wir stehen für einen
Kurs der Eigenständigkeit, der auf einem klaren Fundament von Werten und
Inhalten steht. Eigenständigkeit ist das Gegenteil von Beliebigkeit. Je
stärker wir werden, desto mehr grüne Politik können wir durchsetzen. In
Nordrhein-Westfalen geht es jetzt darum, Schwarz-Gelb für seine
katastrophale Bilanz abzuwählen, die für Skandale und Stagnation steht.
Grün ist die Alternative. Grün verkörpert das, was im Moment eigentlich
ansteht. Der Grüne New Deal muss gerade in NRW erfolgreich realisiert
werden. NRW ist die ersten Schritte zu einem Strukturwandel aus den
alten Industrien schon gegangen und weiß, dass nur die Modernisierung
der Industrie auch morgen Wettbewerbsfähigkeit garantiert. Dieser
Prozess hin zu einer modernen Technologie- und Dienstleistungswirtschaft
muss konsequent fortgesetzt werden.

Schwarz-Gelb ist nicht handlungsfähig. Wir Grüne werden uns in den
nächsten Monaten einsetzen für:

- Ein Klimaschutzgesetz für Deutschland, die Förderung der
Altbausanierung. Nach dem Versagen von Merkel und Co beim Klimagipfel in
Kopenhagen nicht noch ein Jahr sinnlos verstreichen lassen, sondern
Druck machen mit anderen Gruppen der Zivilgesellschaft.

- Ein Europäisches Bürgerbegehren für den Klimaschutz, das wir jetzt
schon vorbereiten. Wir wollen, dass die EU, unabhängig von Zielen
anderer Länder sich auf ein Reduktionsziel von mindestens 30 Prozent
verpflichtet.

- Die Einführung einer Kerosinsteuer, um die Infrastruktur der Bahn
auszubauen.

- Eine Finanztransaktionssteuer und eine europaweite Finanzaufsicht für
länderübergreifende Finanzkonzerne.

- Die Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze, insbesondere für Kinder, statt
schwarz-gelber Scheinlösungen, die gut klingen, aber nichts kosten und
nichts bringen. Außerdem fordern wir den weiteren Ausbau der
Kinderbetreuung und ein unbedingtes Festhalten am Rechtsanspruch auf
einen Kitaplatz ab 2013. Die Ãœberwindung der Lohnungerechtigkeit in
diesem Land. Wir fordern gleiche Löhne für gleiche Arbeit für Frauen und
Männer und einen gesetzlichen Mindestlohn.

- Die Abschaffung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern in
der Bildungspolitik und einen Bildungssoli zur Finanzierung der
notwendigen Investitionen in Bildungseinrichtungen.

- Die Verhinderung von Laufzeitverlängerungen in einem breiten
gesellschaftlichen Bündnis. Wir fordern die Aufklärung der skandalösen
Vorgänge rund um Gorleben, Asse und Morsleben mit einem
parlamentarischen Untersuchungsausschuss und verschärfte
Sicherheitsregeln für noch laufende Atomkraftwerke. Die verbliebenen
Atomkraftwerke müssen nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und
Technik betrieben werden. Wir lehnen den Bau neuer klimaschädlicher
Kohlekraftwerke ab.

- Die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung, ein
Arbeitnehmerdatenschutzgesetz und besseren Schutz der Verbraucher vor
Datenkraken.

- Einen starken Widerstand gegen eine schleichende Einführung der
Kopfpauschale im Gesundheitswesen. Stattdessen wollen wir eine sozial
gerechte Bürgerversicherung.

- Mehr Druck auf die Bundesregierung für eine zivile
Afghanistan-Strategie mit konkreter Aufbau-, Ãœbergabe- und
Abzugsperspektive sowie absolute Priorität für den Schutz der
Zivilbevölkerung und die sofortige Beendigung geheimer Militäraktionen
außerhalb des Mandats. Auf der Londoner Konferenz muss sich die
Bundesregierung deutlich gegen eine weitere militärische Aufstockung
aussprechen. Außerdem fordern wir eine rückhaltlose Aufklärung des
Kunduz-Bombardements.

Reply Edited on 01/18/2010 05:55 PM.

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