Bigotterie und Diplomatie

[ Nach unten  |  Zum letzten Beitrag  |  Thema abonnieren  |  Neueste Beiträge zuerst ]


redaktion
Administrator

44, Männlich

Beiträge: 2408

Bigotterie und Diplomatie

von redaktion am 23.02.2011 09:31




Bigotterie und Diplomatie
von polis-Gastautor Thomas de Torquemada

Ihr Bernie Ecclestones dieser Welt, Ihr Heuchler.
Hört hin, wie es klingelt, das Grabglöckchen Eurer Glaubwürdigkeit, Eurer Vorbildrolle, in
welcher Ihr Euch so gerne sonnt und suhlt.

Vor wenigen Tagen las man, daß in einem jener Länder, welches bis vor kurzem Traumziel,
Wolkenkuckucksheim, Paradies auf Erden war für die Reichen, die Millionäre, ach was –
Milliardäre dieser Welt gewesen, welches uns Normalsterblichen vorgehalten wurde als Land,
in dem Milch und Honig fließen, in welchem Gottvater Erfolg, Schönheit, Eleganz lebt, als
Symbol der Unerreichbarkeit für uns kriecherische Existenzen, daß also in Bahrain
geschossen wird.
Eines jener Länder, welches der postkoloniale Zufall auf die Landkarte zauberte, welches der
göttliche Wille oder geographische Zufall auf eine riesige Blase des industriellen Lebenssaftes
Öl setzte und alles zusammen in die Hände einer Herrscherfamilie spielte, die vor ein paar
Duzend Jahren noch niemanden interessierte, als selbige sich noch mit dem Züchten und
Treiben von Kamelen beschäftigte, bis eben jener Zufall Öl bekannt wurde und so aus
ärmlichen Clanchefs nomadisierender Beduinen pervers reiche Autokraten formte.
Die nicht allein ob ihres Pfandes Öl plötzlich hofiert wurden, in weltpolitische Geltung
katapultiert wurden, sondern einen ebenso absurden Reichtum anhäuften, daß es ihnen nicht
allein mehr ausreichte, mit Geld zum Selbstzwecke um sich zu schmeißen, ihren Untertanen
ein Leben in – welch geflügeltes Wort – anstrengungslosem Wohlstand zu finanzieren, nein,
es mehr als Yachten, Limousinen, Palästen bedurfte: Zentrum der Welt sollte es werden, ein
Wirklichkeit gewordenes Märchenreich, eine wahr gewordene 1001. Nacht.

So wurde sprichwörtlich an der Weltgeltung gebaut, sei es in internationalen Beziehungen, sei
es in Errichtung höherer, weiterer, schnellerer Fata Morganas, wozu – wie kann es anders sein
hier als in jedem anderen Land mit Anspruch auf Weltgeltung – auch eine Formel – 1 –
Strecke gehörte.

Doch dem regelgerechten Beginn des GP – Zirkus kam nun dummerweise eben jene Affäre in
die Quere, welche von Tunesien ihren Ausgang nehmend wie ein lästiger Floh
herumspringend den Pestvirus des Aufstandes in den Pelz Ägyptens, des Jemen, Jordaniens,
Libyens, Saudi Arabiens, Marokkos, und eben auch Bahrains pflanzte.
Sand also im Getriebe einer Rennserie, welche wie nichts anderes die Identität, das
Selbstverständnis unserer Zeit widerspiegelt: Internationalität, Jetset, Ansehen und Ruhm,
Reichtum, Luxus, Schnelligkeit, Freiheit, Leistungsprinzip – da, wo ein Grand Prix stattfindet,
da ist die Welt zu Gast und zu Haus, das ist der Weltjugendtag der westlichen Welt (warum
sonst drängelt sich alles, über den Motorsport zu werben, drängelt sich danach, ein Rennen
veranstalten zu dürfen).
Und nun wird geschossen, rollen Panzer, fließt Blut, wankt der Thron und ein stillschweigend
hingenommenes Gefüge – aus Staatsräson – gerät ins Schwimmen.

Was nun tat Bernie Ecclestone? Er taktierte. Wartete. Beschwichtigte. Seine Leute da unten
sagten, es sei alles ruhig. Das tat er so lange, bis der Veranstalter vor Ort selbst das Rennen
absagte, mit der Begründung, das Volk von Bahrain brauche nun zunächst einmal Ruhe und
Zeit, um zu geordneten Verhältnissen zurückzufinden.
Bernie Ecclestone wartete so lange, bis ihm die Entscheidung aus der Hand genommen
wurde, bis er keine Gefahr lief, Geld zu verlieren. Nur wenn der Zirkus vor Ort antritt, muß
der Veranstalter die „Starprämie“ zahlen, sagt er aber selbst ab, muß er trotzdem zahlen. Weil
also Bahrain das ganze selbst abblies, verdient der Rennzirkus trotzdem.

Daß irgendein Mitglied dieser exquisiten Gesellschaft auch nur auf den Hauch der Idee
gekommen wäre, das Rückgrat besessen hätte, ein einziges Mal den Kommerz der Moral
unterzuordnen, indem man diesen Schabernack abgesagt hätte, weil es schlicht ein Unding ist,
für einen Despoten ein vergnügliches Wochenende, in dessen Glamour er sich sonnen kann,
zu veranstalten, während auf dem Asphalt noch das Blut gemeuchelter Demonstranten
trocknet, nein, das war bei der Feigheit, die üblicherweise mit den größten Sammlern von
Reichtümern einhergeht, nicht zu erwarten. Stattdessen bedauert man die Absage, verweist
aber auf die fragliche Sicherheit der Teams, lässt sich eine Entscheidung zur Absage
sozusagen aufschwatzen, befindet dies teils sogar noch als einmaligen und peinlichen
Vorgang in der Formel – Geschichte und lässt hier und da am Rande die Bemerkung fallen, es
sei ja auch nicht gut möglich gewesen, ein Rennen auszutragen, welches von Panzern bewacht
werden muß.
Was für ein peinliches, feiges, bigottes Pack.

Nun kann man natürlich sagen, so sei sie halt, die Formel 1 samt ihrem halbseidenen
Impressario (allein schon, daß derselbe in seltsamen Verwicklungen mit der Bayern LB steht,
belegt, daß diese Jahrmarkstveranstaltung kein autarker Mikrokosmos ohne Bezug zur
Realität ist).
Daß aber, wenn auch ins fast schon Ridikulöse überzogen, dieser Rennzirkus ein Spiegelbild
unserer aller selbstgefälliger Bigotterie und deren höchster Form, der Diplomatie ist, müsste
sich doch eigentlich aufdrängen wie der Balken im eigenen Auge.

Es geht zwar weniger um Antrittsgelder, aber umso mehr und ins weltpolitische gesteigert um
Wirtschaftsbeziehungen, Stabilität, Bündnisse.
Erst jetzt, da hier und da insgesamt einige hundert Menschen (und dabei wird´s wohl nicht
bleiben) massakriert worden sind, scheint den ach so gerechten, vorbildhaften Staatenlenkern
der westlichen Welt, die bei jeder passender Gelegenheit etwas von Freiheit,
Rechtsstaatlichkeit und all den andern altbekannten Phrasen vorbeten (wobei es regelmäßig
dann passend ist, wenn es im Sinne eigener staatspolitischer Interessen nicht schaden kann)
überhaupt erstmals aufzugehen, daß die Partner ihrer Politik durch die Bank hinweg
Ursupatoren, Diktatoren, selbstgefällige, korrupte Autokraten, dekadente Potentaten, die jede
Gelegenheit zu Selbstbereicherung nutzen, sind: Wie angenehm war es, Pakte mit Tunesien
und Libyen zu schließen, die gegen Anerkennung und Bares die afrikanischen Flüchtlinge erst
gar nicht das Mittelmeer erblicken lassen (oder woran wird es wohl gelegen haben, daß man
das einstmals überfüllte Flüchtlingslager auf Lampedusa schließen konnte?). Wen hat es
interessiert, woher Mubaraks Geld stammte und wo er es in Europa bunkerte und investierte.
Und da sich nun die Partner, deren angesichtig man stets staatspolitisch, stabilitätsbequem
beide Augen zudrückte, als Bestien, wenigstens aber als Kriminelle entlarven, tut unsere
Außenpolitik, kommt sie nun als Obama oder als Westerwelle daher, nichts anderes als die
Bigotterie eines Ecclestone anzurichten wusste: Man wartet ab, scheut die eindeutige
Stellungnahme und historische Chance, bis die Fronten halbwegs klar sind, die Gefahr, aufs
falsche Pferd zu setzen, halbwegs gebannt ist, und ringt sich sodann zu einem lauen Lüftchen
durch. Man mahnt hier Gewaltlosigkeit an, erinnert dort an die Aufnahme eines friedlichen
Dialoges, findet andernorts eine Rede beängstigend und winkt einem Dritten mit der Drohung
von Sanktionen, falls er noch weiter ausflippt.

Nun gut, Moral und Politik sind zwei Dinge, die nicht stets Hand in Hand gehen. Doch wenn
man nicht selbstverlogen an der Autosuggestion der eigenen hären Phrasen festhalten möchte,
so sollte man sich entscheiden, eben zu jener Realpolitik überzugehen, die man scheinbar
betreibt, indem man an den scheinbaren Garanten politischer Stabilität schon zu lange
festhält.

Ausgerechnet Joseph Fouché, dem französischen Polizeiminister von Revolution über
Napoleon bis hin zur Restauration, jenem Zyniker und Opportunisten par excellence, sagt
man das folgende, treffende Zitat nach: „Das ist mehr als ein Verbrechen, das ist ein Fehler!“

Wir, der Westen, haben dem Rest der Welt mit einer Penetranz die heiligen Werte westlich –
liberaler Demokratien vorgebetet, daß es vielen nicht nur mehr und mehr den Eindruck
besserwisserischer Arroganz vermittelte, sondern schon wieder zu den Ohren herauskam – ein
Gefühl der Bevormundung, das unter anderem auch Grund für die Flucht in radikalen
Islamismus sein dürfte.
Und nun bietet sich plötzlich eine historische Chance zu beweisen, daß es bei diesen Worten
nicht allein um Maulheldentum geht, um das Predigen von Wasser und Saufen von Wein.
Die Völker von Ägypten, von Tunesien, von Libyen warten auf eindeutige Zeichen, sie
lechzen danach, daß sie nicht allein gelassen werden, das man sie hört und erhört, sie warten
auf Hilfe von außen, von uns. Nicht daß wir militärisch eingreifen, nein, daß wir Position
einnehmen, eindeutige, keine Halbheit, kein Herumlavieren, keine Bigotterie. Hier tut sich
eine einmalige historische Chance auf, die scheinbare Stabilität alter Autokraten aufzugeben
und einzutauschen gegen ein Worthalten, was die eigenen Ansprüche, Forderungen und
Verheißungen anbelangt, ein Position beziehen, was die revolutionären Völker nur als Hilfe,
Unterstützung, Ehrlichkeit und damit eine Art Versöhnung auffassen könnten. Eine Chance,
die, den Mut voraussetzt, den scheinbar leichteren Weg, an überkommenen Regimen
festzuhalten, aufzugeben, stattdessen den steinigeren, aber auf Dauer weit größere Chancen
öffnenden Weg einzuschlagen, sich wirklich für die Völker zu entscheiden.
Welche Reaktion kurzfristig wie langfristig würde die Courage auslösen, wenn sich Merkel,
Westerwelle oder wer auch immer, der wirklich etwas zu sagen hat, dazu durchringen
würden, zu sagen; Gaddafi verschwinde!
Ob dieses Zögern des Westens ein Verbrechen ist (wer aber so handelt, sollte tunlichst den
Mund halten, nochmals Papst Pius XII. historisches Versagen vorzuwerfen), wird die
Geschichte weisen. Eines aber, und noch schlimmer, steht – realpolitisch fest: Es ist ein
Fehler.
Die Halbheit, Wankelmütigkeit wird als das aufgefasst werden, was es ist: Feigheit, Verrat.
Die Völker im Aufstand werden sich daran erinnern, werden sich im Stich gelassen fühlen,
und auf lange, sehr lange Zeit für sich entscheiden: Auf den Westen ist, wenn es zur
Nagelprobe kommt, kein Verlaß. Baut man auf den Westen, hat man auf Sand gebaut.

Moralisch unterscheidet sich unsere Politik keinen Deut vom Geschäftsgebaren eine Bernie
Ecclestone.
Realpolitisch haben wir zu lange auf das falsche Pferd gesetzt und die historische Chance
nicht erkannt. Es erinnert manchmal an den Versuch eines Zirkuskunststückes, was die
Diplomatie da veranstaltete: auf dem Rücken zweier Pferde stehend. Daß wir uns nicht zu
einem Richtungswechsel entschieden haben, wird auf uns zurückfallen: Gewogen und für zu
leicht befunden. Der Westen hat versagt, fataler Weise moralisch und realpolitisch.

Antworten

« zurück zum Forum