Armut macht krank

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Armut macht krank

von redaktion am 13.12.2011 10:33

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Mittelbayerische Zeitung:
Armut macht krank
Ein kurzes oder langes Leben ist eine Frage des Geldes - aber auch von Bildung und Anerkennung.

Regensburg / Berlin (rdp/ots) - Jetzt haben wir es zumindest halbamtlich: Armut macht die Menschen immer kränker. Billiglöhne, Niedrigrenten oder der dauerhafte Bezug von Hartz-IV-Leistungen können zu schweren Gesundheitsschäden und zu vorzeitigem Ableben führen. Auch wenn das Bundesarbeitsministerium wegen der "Belastbarkeit" des Zahlenmaterials herumeiert - hinter den statistischen Angaben, die die schwarz-gelbe Koalition auf eine Anfrage der Linkspartei herausrückte, verbirgt sich ein handfester politischer und gesellschaftlicher Skandal. Und weit mehr noch stellt das Datenmaterial einen hochbrisanten Zündsatz dar, der die Gerechtigkeitsdebatte neu befeuern wird. Denn seit langem ist bekannt, dass die Höhe des Einkommens sowie der Bildungsgrad stark die Gesundheit und die Sterblichkeit beeinflussen. Je höher beides ist, desto älter werden die Bundesbürger und desto seltener werden sie auch krank. Seltsam, dass sich darüber bislang nur wenige Sozial- und Gesundheitspolitiker öffentlich geäußert haben.

Insgesamt betrachtet ist die Lebenserwartung in Deutschland Jahr für Jahr stetig gestiegen - seit 1960 um rund zehn Jahre. Noch nie hatten Frauen und Männer hierzulande bessere Chancen, ihren 80. oder 90. Geburtstag zu feiern, als im angehenden 21. Jahrhundert. Nur nicht für eine Bevölkerungsgruppe - die Geringverdiener. Denn seit zehn Jahren sind Niedriglöhner und prekär Beschäftigte auf dem Vormarsch. Und nicht nur die Armut macht krank, sondern auch Arbeit, für die es kaum Wertschätzung gibt. Wenn jetzt erstmals festgestellt wird, dass die Lebenserwartung bei den sozial Schwachen sogar zurückgegangen ist - seit 2001 um zwei Jahre - überrascht das nicht. Wer die Schuld für Gesundheitsprobleme allein bei den Betroffenen sucht - ungesunde Ernährung, Tabak, Alkohol - macht es sich zu einfach. Denn wer wenig Geld hat, kann sich nicht im Bio- oder Feinkostladen versorgen. Wer sich von Job zu Job durchhangeln muss, steht permanent unter psychischem Druck. Wer trotz Arbeit große finanzielle Sorgen hat, betäubt seine Sorgen eher mit Alkohol oder Zigaretten, als ein Gutverdiener mit einem sicheren Arbeitsplatz.

Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Doch so unterschiedlich der Reichtum in unserer Gesellschaft verteilt ist, so verschieden ist auch die Teilhabe an den Segnungen des Systems. Wer Angst um seinen Job hat, lässt sich seltener krankschreiben und geht auch seltener zum Arzt. So werden diese Leute vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt und haben höhere Krankheitsrisiken. Ein Spitzenbeamter wird sich dagegen nie die Frage stellen, wegen der Praxisgebühr einen Arztbesuch zu schwänzen. Und ein Angestellter wird kaum wegen einer Arzneizuzahlung auf ein Medikament verzichten. Manager wie Professoren gehen im Normalfall regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung, um nicht krank zu werden. Aber auch, um ihre Arbeitskraft und damit ihr Einkommen zu erhalten. Sozial Benachteiligte aber, die jeden Tag neu nach einem Lebensinhalt suchen, setzen oft ganz andere Prioritäten und denken in kürzeren Zeiträumen.

Bei diesem Vergleich ist eines besonders wichtig: Die Frage, wie gesundheitsbewusst wir als Erwachsene leben, wird bereits in der Kindheit geprägt. Hier sind sich zumindest die Experten einig. Nicht nur Armut und Reichtum werden von Generation zu Generation vererbt, sondern auch ein kurzes oder ein langes Leben. Wer weiter den Sinn von Mindestlöhnen infrage stellt, sollte dies bedenken. Wer zusätzliche "Eintrittsgebühren" für den Arztbesuch fordert, sollte sich der dramatischen Konsequenzen für die Armen bewusst sein. Und wer über künftige Bildungsreformen debattiert, sollte endlich Gesundheit als Pflichtfach fordern.

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