Versicherungs-PR in der Süddeutschen

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polis
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Versicherungs-PR in der Süddeutschen

von polis am 13.07.2011 15:54




Versicherungs-PR in der Süddeutschen

Quelle: nachdenkseiten.de
Verantwortlich: Jens Berger

Der Pressekodex sieht vor, dass Anzeigen und redaktioneller Inhalt deutlich voneinander getrennt werden müssen. In Zeiten der rückläufigen Werbeeinahmen bei gleichzeitig zunehmender ökonomischer Abhängigkeit der Printmedien von Anzeigenkunden verschwimmt diese Trennung jedoch mehr und mehr. Wie stark das journalistische Ideal der unabhängigen Berichterstattung darunter leidet, zeigt ein redaktioneller Beitrag in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, der sich mit „Berufsunfähigkeitsversicherungen“ beschäftigt und sich liest, als stamme direkt aus der PR-Abteilung eines Versicherungsanbieters. Von Jens Berger

„Richtig versichert – Was man über Berufsunfähigkeit wissen sollte“ – mit diesem Satz, der ebenso gut auf dem Cover einer Merkbroschüre eines Versicherers stehen könnte, überschreibt SZ-Autorin Alina Fichter einen Artikel, der die Leserschaft in sieben Punkten über das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) aufklären soll. Doch anstatt die Thematik im Sinne und Interesse der Leser kritisch zu analysieren, ist der Artikel als These-Antithese-Modell konstruiert, bei dem die BU-kritische These von der SZ jeweils durch eine BU-freundliche Antithese entkräftet wird. Ein solcher Aufbau mag für PR- und Werbezwecke durchaus sinnvoll sein, in einem redaktionellen Artikel hat er einen äußerst schalen Beigeschmack – vor allem dann, wenn einige wichtige redaktionellen Angaben falsch sind.

Kaum ein Deutscher kann sie leiden. Warum das so ist, verstand bisher niemand, selbst Versicherer und Verbraucherschützer sind sich einig: Jeder braucht sie, die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU).


Dass sich die Versicherer darin einig sind, dass jeder Bürger eine BU bräuchte, ist sicherlich kaum verwunderlich. Verwunderlicher ist es da schon, dass im Jahr rund 200.000 Anträge für eine BU von den Versicherern abgelehnt werden. Erwünscht sind nämlich vor allem solche Kunden, bei denen das statistische Risiko eines Versicherungsfalles überschaubar scheint. Dazu zählen vor allem junge, kerngesunde Menschen, die in risikoarmen Jobs tätig sind. Wer Vorerkrankungen hat, kann sich den Antrag bei der Versicherung meist ohnehin sparen, da er kaum eine Chance auf Versicherungsschutz hat. Wer nicht direkt abgewiesen wird, muss meist mit hohen Risikoaufschlägen leben, die die ökonomische Sinnhaftigkeit eines solchen Versicherungsschutzes ziemlich fraglich erscheinen lassen.

Wenn die SZ schreibt, „Jeder braucht sie“, ist dies nicht nur eine Verhöhnung der Abgewiesenen, sondern auch sachlich falsch. Millionen Hartz-IV-Empfänger brauchen beispielsweise keine BU und für Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor macht eine BU gar keinen Sinn, da die möglichen Leistungen im Falle einer Berufsunfähigkeit voll mit dem Hartz-IV-Leistungen verrechnet werden. Sinnvoll ist eine solche Versicherung daher ohnehin nur für Menschen, deren Nettoeinkommen rund 30% über den zu erwartenden ALG-II-Leistungen im Falle einer Berufsunfähigkeit liegt. Eine BU-Rente, die in Höhe des ALG-II-Satzes liegt, nutzt zweifelsohne dem Staat, der sich auf diese Art und Weise die Sozialleistungen spart – dafür zahlen die Versicherungsnehmer aber keine Beiträge. Vor allem für Alleinerziehende ist dies eine relativ hohe Hürde. Es gäbe sicher keinen Verbraucherschützer, der z.B. einer alleinerziehenden dreifachen Mutter, die bei einem Discounter an der Kasse steht, eine BU empfehlen würde. Die SZ weist auf diese Probleme nicht hin.

Über die Hälfte der Befragten nannte als Grund, der gegen eine BU spricht: zu teuer; das Geld wolle man lieber für anderes ausgeben. Nun ist zwar richtig, dass die BU nicht zu den günstigsten Policen zählt. Aber es gibt eine Zahl, die den Preis ihrer Prämien in das richtige Verhältnis setzt: Wird ein Mann Mitte 20 berufsunfähig, etwa durch einen Unfall, muss er bis zur Rente Einnahmeausfälle von über einer Million Euro verkraften.


Wenn dieser Mann Mitte 20 einen gutbezahlten Bürojob hat, mag die Versicherungsprämie relativ günstig erscheinen. Er zahlt – je nach Anbieter – für eine Versicherungssumme von 3.000 Euro pro Monat monatlich Beiträge in Höhe von rund 130 Euro. Dabei sollte man jedoch nicht die Inflationsdynamik unterschätzen. Selbst bei moderater Inflation (2% p.a.) entsprechen die 3.000 Euro von heute am Ende der Laufzeit nur noch einer Kaufkraft von 1.337 Euro. Während die Beiträge meist dynamisch sind, ist es die Rente im Leistungsfall nicht.

Bedeutend teurer wird die Versicherung jedoch, wenn der Mittzwanziger keinen gutbezahlten Bürojob hat, sondern einer risikoreicheren Tätigkeit nachgeht. Als Dachdecker müsste er beispielweise für die gleiche Versicherungssumme durchschnittlich stolze 400 Euro pro Monat einzahlen. Ein Junggeselle, der sich mit 1.200 Euro pro Monat absichern will, muss rund 160 Euro pro Monat einzahlen. Was nützen die schönsten Zahlen aus den Werbeprospekten der Versicherer, wenn die potentielle Leistung in keinem angemessenen Verhältnis zu den Versicherungskosten steht und von Geringverdienern überhaupt nicht aufgebracht werden können? Die 1.200 Euro entsprechen übrigens einer inflationsbereinigten Kaufkraft von rund 535 Euro am Ende der vierzigjährigen Laufzeit.

Beinahe drei Viertel sind überzeugt, dass es so läuft: Erst zahlt man Beiträge, und wird man dann berufsunfähig, springt die Versicherung nicht ein. 41 Prozent denken, bei einem selbst verschuldeten Unfall zahle sie nicht. Das ist falsch. Es gibt grundsätzlich nur äußerst wenige Ausnahmen, in denen die Unternehmen keine Rente zahlen.


Diese pauschale Aussage der SZ ist schlichtweg falsch. Laut einer Studie des Analysehauses Morgen & Morgen erhalten nur rund 60% der Versicherten tatsächlich die erhoffte Rente. Demnach beträgt die Quote derer, die nicht die volle Leistung zugesprochen bekommen, bei rund 40% – was eindeutig nicht mehr mit „wenige Ausnahmen“ umschrieben werden kann. Besonders ärgerlich sind diese Fälle von Zahlungsverweigerung dann, wenn sie sich auf einen „falsch ausgefüllten“ Antragsbogen beziehen. Wer beispielsweise beim Abschluss der Versicherung eine Vorerkrankung oder einen Besuch beim Psychologen nicht angegeben hat, wird womöglich im Schadensfall in die Röhre gucken. Ohne Rechtsschutzversicherung ist der Versicherte bereits in der ersten Instanz schnell 10.000 Euro los – eine Summe, die vor allem Opfer, die ihren Beruf aufgeben mussten, meist überhaupt nicht aufbringen können.

Da stellt sich abschließend die Frage, warum die SZ einen derart unkritischen PR-Artikel im redaktionellen Teil veröffentlicht. Im schlimmsten Fall handelt es sich hierbei um ein sogenanntes „Advertorial“, also einer Mischung aus Werbung und redaktionellem Inhalt, für den ein Kunde gezahlt hat. Im besten Fall versucht die SZ „lediglich“ das zu erreichen, was in den Hochglanzprospekten für potentielle Anzeigenkunden gerne als „werbefreundliches Umfeld“ beschrieben wird. Kritik zählt zweifelsohne nicht dazu. Verlierer ist in beiden Fällen die Glaubwürdigkeit der Zeitung. Dabei hätte sich Frau Fichter nur bei ihrer SZ-Kollegin Herta Paulus erkundigen müssen. Paulus Artikel „Berufsunfähigkeitsversicherung – Schutz gibt es nur für gesunde Reiche“ erfüllt die Ansprüche, die man an eine Qualitätszeitung stellen muss. Der Unterschied zwischen Paulus Artikel aus dem Jahre 2008 und Fichters Artikel von heute ist dabei nur ein Beispiel für den zunehmenden Qualitätsverlust der Printmedien.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 13.07.2011 15:54.

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