Sinnentleert und inhaltsleer

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polis
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Sinnentleert und inhaltsleer

von polis am 06.04.2011 12:56




Sinnentleert und inhaltsleer- Um überleben zu können, wird eine FDP zu einer liberalen Partei werden müssen
von polis-Gastautor Philipp von Brandenstein


von Brandenstein

Die FDP hat den Neuanfang in den Sand gesetzt. Zwar hat man für den vakanten Vorsitz einen sympathischen Kandidaten gefunden, mit dessen Nominierung man zumindest dem xenophoben Rechtspopulismus als vermeintlicher Option zur Rettung der in Agonie befindlichen Partei eine klare Absage erteilt hat, aber abgesehen davon bleibt vieles beim Alten. Fast alle aus sehr guten Gründen von Parteiämtern zurückgetretenen FDP-Politiker sind einfach geblieben. Für die Partei sollen sie nicht mehr gut genug sein, für Deutschlands Regierung aber allemal. Wem will man das noch erklären? Wer soll das noch ernst nehmen?

Daniel Bahr, Chef der einflussreichen FDP-NRW, erklärte heute im Morgenmagazin wenig überzeugend, dass Personen ja gar nicht so wichtig seien: "Die liberalen Wähler sehen mehr auf die Inhalte". Den zweiten Teil seines Befund kann man nur stützen, denn er erklärt einleuchtend, warum die FDP derzeit bundesweit nur noch auf 3% der Stimmen käme.

Nicht allein die Regierungspraxis auf Bundesebene demonstriert mit trauriger Eindeutigkeit: Die FDP hat keine Inhalte. Sie ist inhaltsleer und sinnentleert. Besonders traurig wird dies bei der Diskussion um die Kernenergie ersichtlich. Manche Liberale glauben tatsächlich, dass ein möglichst unreflektiertes und verantwortungsloses Bekenntnis zur Atomenergie ein Charakteristikum liberaler Politik sei. Das ist absurd, demonstriert aber die intellektuelle Entleerung der FDP. Kernenergie hat weder etwas mit Liberalismus noch mit Marktwirtschaft zu tun. Das ist auch theoretisch nirgendwoher abzuleiten. Politischer Liberalismus vertritt immer die Freiheit- ohne Einschränkungen, ohne Attribute! Freiheit aber basiert auf individueller Verantwortung. Kernenergie ist nicht verantwortbar und noch nicht einmal ökonomisch sinnvoll. Ein AKW wird von der sehr marktwirtschaftlich ausgerichteten privatwirtschaftlichen Assekuranz nicht einmal versichert.

Die FDP hat keine Inhalte, sie hat keine Grundsätze, auf die man unverbrüchlich vertrauen könnte, sie hat kein überwölbendes Projekt und sie hatte keine strategische Auffassung von ihrer Rolle in einer Koalition mit der rechtspopulistischen CSU und der autoritär geführten sozialdemokratischen CDU. Derzeit funktioniert sie in den meisten Fällen nicht einmal als effektives Korrektiv, um die schlimmsten Ausfälle des fiskalischer Expansion, haushalterischer Verschuldung und bürgerrechtsfeindlichem Sicherheitswahn zu verhindern. In den Ländern sieht es kaum besser aus. In Bayern ist die FDP Teil einer Regierung, die Flüchtlinge und Asylbewerber in Lager steckt, um etwaige Integration zu vermeiden. Menschrechtsgruppen und Kirchen klagen das an. Die FDP Bayern lächelt und lässt wenige Gelegenheiten aus, sich weiter demütigen zu lassen.

Dabei müsste sich die FDP nur ihres liberalen Verstandes bedienen, um die selbstverschuldete Unmündigkeit abzustreifen. Betätigungsfelder für den politischen Liberalismus gibt es zuhauf!

Deutschland muss endlich in die Schuldentilgung einsteigen. Dies bedeutet nicht nur ein Abbremsen der Neuverschuldung, sondern - horribile dictu - Einschnitte auf der Ausgabenseite. Keine Partei ist zu dieser radikalen Wende bereit. Alle nehmen stattdessen die absehbare wohlstandvernichtende Inflation in Kauf.

Deutschland muss den demographischen Wandel annehmen. Dies bedeutet den Einstieg in eine Familienpolitik, die nicht auf Sozialtransfers beruht. Es erfordert eine Pflegepolitik, die zukunftsfest ist und nicht ein neues Milliardenloch reißt. Und es erfordert eine Einwanderungspolitik, die menschlich und ökonomisch nutzenorientiert ist.

Auch, wenn die Kanzlerin es bestreitet: Europa ist natürlich zu einer Transferunion geworden. Es gilt nun, mit der politischen Einigung die Konsequenz daraus zu ziehen und (paradoxerweise leider nur nachträglich) die Grundlage hierfür zu schaffen. Dies erfordert auch eine Demokratisierung der EU mit einem starken Parlament mit Budgetrecht.

Deutschland bedarf einer Außen- und Sicherheitspolitik, die gegen die Risiken nuklearer Proliferation gerichtet ist, die für das für das transatlantische Bündnis und im Zweifel immer für die Freiheit eintritt. Das Streben des Iran nach der nuklearen Option ist als die entscheidende Herausforderung zu begreifen, doch Deutschland geht (zum Entsetzen Israels, der USA, Frankreichs und des UK) nicht stringent gegen Teheran vor, sondern ermöglicht deutschen Firmen einträgliche Geschäfte mit der von den Revolutionsgarden gleichgeschalteten iranischen Industrie.

Deutschland bedarf einer Sicherheitspolitik, die nicht die Bürgerrechte vernichtet. Deutschland bedarf einer Integrationspolitik, die auf Inklusion statt auf Assimilierung aufbaut und jeder Form von Ressentiment scharf zurückweist. Ist das für die Partei des Pluralismus denn zuviel verlangt zu einer Partei der "offenen Gesellschaft" zu werden?

Man könnte diese Liste lange fortsetzen. Eine Liste an Zukunftsfeldern, an Megathemen, die einer liberalen Partei eigentlich keinen inhaltlichen Pirouetten abverlangen sollten. In Deutschland gibt es derzeit keine Reformpartei, keine Europapartei, keine Integrationspartei, keine Partei der Menschen und Bürgerrechte, keine Partei der Marktwirtschaft und des Transatlantizismus und keine Partei, die konsequent die Rechte der Legislative verteidigt.

Kurzum: In Deutschland existiert keine Partei, die sich immer und in allem konsequent von der unteilbaren Freiheit - ohne Einschränkungen und verfälschende Attribute - leiten lässt. Gleichwohl ist der politische Raum für solch eine liberale Partei vorhanden und unbesetzt. Will die FDP als relevante politische Kraft überleben, wird sie zu eben dieser liberalen Partei werden müssen- auch wenn ihr dies sehr schwerfallen mag.

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Der Autor diente ab Anfang 2007 als Chief-of-Staff von Karl-Theodor zu Guttenberg in Berlin. Diesem folgte Brandenstein Ende 2008 als Leiter Strategie und Kommunikation in die Landesleitung der CSU. In dieser Funktion - verantwortlich für die Kampagnenführung der CSU - erstellte Brandenstein ein vertrauliches Strategiepapier, in welchem er gegen eine "Anti-Türkei-Kampagne" der CSU bei den Europawahlen 2009 Stellung nahm. Inzwischen ist Philipp von Brandenstein aus der CSU ausgetreten.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 06.04.2011 13:00.

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