Putsch der Finanzmärkte

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polis
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Putsch der Finanzmärkte

von polis am 23.09.2011 19:09

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Putsch der Finanzmärkte

Der Staat – vom Krisenretter zum Pleitekandidaten. Jetzt stützen die Notenbanken das System. Nötig ist jedoch eine Abschöpfung großer Vermögen.

Von Fabio De Masi und Alexander Troll

Das wirtschaftliche Regime der vergangenen Jahrzehnte – sinkende Masseneinkommen bei explodierenden Gewinnen und Vermögen – wurde durch Kredite bzw. Verschuldung am Leben gehalten. Eine besondere Rolle spielte der Immobiliensektor. Dessen Spekulationsblase ist inzwischen geplatzt. Aber sie ist nicht verschwunden, sondern sie schwebt nun wie ein Atompilz über dem Staat. Der hat die Weltwirtschaft durch Konjunkturpakete und »Bankenrettung« vor dem Absturz bewahrt. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist titelte deshalb: »Wir sind jetzt alle Keynesianer« (We are all Keynesians, now!).

Die Staatshaushalte wurden zur Müllkippe der Finanzmärkte, Kürzungspakete auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit brechen der Wirtschaft das Genick. Im Ergebnis steigen die öffentlichen Schulden, statt zu sinken. Das alles markiert einen Wendepunkt: Der Kapitalismus hat seinen Bodyguard – den Staat – ausgeknockt. Der hängt jetzt wie ein nasser Sack in den Seilen.

Im Jahr 2011 werden die Industrie­nationen laut Internationalem Währungsfonds (IWF) die »100er-Marke« knacken, also im Durchschnitt 100 Prozent Staatsschulden im Verhältnis zur Jahreswirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) aufweisen. In Deutschland gehen etwa 270 Milliarden von 500 Milliarden Euro neuer Verbindlichkeiten seit Krisenbeginn auf die »Bankenrettung« zurück. In Irland hat dies die Staatsverschuldung von 25 auf 100 Prozent des BIP gejazzt. In Spanien gaben der Kollaps des Immobilienmarktes bzw. die hohe Verschuldung der privaten Haushalte, in Griechenland der Cocktail aus Steuerdumping, Deindustrialisierung und Rezession dem Staatshaushalt den Rest.

Das ist der Augenblick der Zentralbanken. Doch die Zinspolitik ist mit ihren Möglichkeiten bereits am Limit. Notenbänker kaufen den Finanzinstituten Staatsanleihen ab, um die Kurse zu stützen bzw. die Zinsen zu drücken. In den USA lagern bereits derartige Papiere im Wert von 1660 Milliarden Dollar in den Tresoren der Federal Reserve (US-Notenbank). Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mittlerweile etwa für 153 Milliarden Euro Staatsanleihen in den Büchern. Für die Banken ist das eine Erleichterung – sie bekommen von der EZB frisches Geld und sind die faulen Papiere los. Das Risiko im Falle von Staatspleiten tragen zunehmend die Steuerzahler.

Sinnvoller wäre es, die Staaten ohne Umweg über die Banken mit günstigen Krediten zu versorgen. Die Finanzmärkte wären entwaffnet. Das würde einen geordneten Schuldenschnitt ermöglichen und das Geschäft mit der Staatsverschuldung beenden.

Die Meßdiener der Bundesbank, Axel Weber (Exbundesbankpräsident) und Jürgen Stark (Exchefvolkswirt der EZB) haben indes entnervt das Handtuch geworfen. Sie verstehen die Welt nicht mehr: Die Zentralbanken müssen die Finanzierung des verhaßten Staates übernehmen. Sie sorgen sich um die Unabhängigkeit der EZB, die bislang mit ihrer Zinspolitik die Arbeitslosigkeit hoch und die Löhne bzw. Inflation niedrig hielt. Das war eine Voraussetzung des deutschen Exportmodells, das auf die Verschuldung des Auslands setzte.

Zentralbanken können theoretisch unbegrenzt Geld schöpfen. Aber wenn die Staaten über Kürzungspakete die Wirtschaft in die Rezession treiben, helfen auch niedrige Zinsen nicht mehr. Der Verschuldung steht noch weniger Wirtschaftskraft gegenüber. Das geht langfristig nicht gut, weil es den Glauben an die Schuldenrückzahlung untergräbt. Wenn Staatspleiten drohen, erodiert auch das Vertrauen in die Bilanz der Notenbanken.

Die brillante Cambridge-Ökonomin und marxistisch inspirierte Schülerin von John Maynard Keynes, Joan Robinson, prägte daher den Begriff »Bastard-Keynesianismus«. Damit meinte sie jene Interpretation seiner Wirtschaftstheorie, wonach Staat und die Zentralbank in einer Rezession einfach nur Geld ins System pumpen sollen. Bastard-Keynesianismus kann nur durch eine strukturell andere Verteilung und höhere Staatsquote beendet werden.

Dies war auch Keynes zentrale Einsicht. Der Kapitalismus kranke an der Verteilung. Selbst unter der Voraussetzung, daß die Beschäftigten Löhne in Höhe des Produktivitätsfortschritts und der Inflationsrate durchsetzen, wüßten die privaten Unternehmen langfristig nicht, was sie mit ihrem Kapital machen sollen. Etwa weil mit wachsendem Einkommen weniger davon konsumiert wird oder weil elementare Bedürfnisse befriedigt sind. Langfristig ging Keynes daher von Stagnation aus und empfahl die Sozialisierung von Investitionen.

Von »gerechter Verteilung« sind wir weit entfernt. Wer die Staatsfinanzen sanieren möchte, kommt daher um eine unbequeme Wahrheit nicht herum: Die öffentliche Verschuldung beträgt in Deutschland zwei Billionen Euro, das hoch konzentrierte private Nettovermögen beläuft sich hingegen auf etwa acht Billionen Euro. Zwei Drittel der Bevölkerung verfügen über kein oder ein sehr geringes Vermögen. Wir brauchen daher eine Abschöpfung hoher Vermögen. Monsieur Trichet (EZB-Chef – d. Red.) wird diesen Job sicher nicht übernehmen.

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Fabio De Masi ist Volkswirt und einer der Bundessprecher der gewerkschaftorientierten Strömung Sozialistische Linke in der Linken.

Alexander Troll ist Volkswirt und Mitarbeiter der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht.

Quelle: junge welt

Antworten Zuletzt bearbeitet am 23.09.2011 19:23.

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