Nicht Fisch, nicht Fleisch

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polis
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Nicht Fisch, nicht Fleisch

von polis am 25.05.2011 14:35




Nicht Fisch, nicht Fleisch
von polis-Gastautor Thomas de Torquemada

Was will die Nato eigentlich in, besser über Libyen, was ist Sinn, Zweck und Ziel? Es war der
alte Clausewitz, der da sagte, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
ist. Mag man darüber moralinsauer die Nase rümpfen, so besagt dieser meist fehlinterpretierte
Satz nichts anderes, als daß man, wenn man schon einen Krieg vom Zaune bricht, demselben
ein konkretes politisches Ziel geben muß, ansosnten gerät er ins uferlose und ist schon
deshalb nicht zu gewinnen, da er sich totläuft. Führt man also einen Krieg, so sollte man sich
vorab über eine Strategie im klaren sein, welche konkreten, begrenzten und realistischerweise
erreichbaren politischen Ziele man mit welchen militärischen Mitteln zu erreichen trachtet.
Gebetsmühlenartig wiederholt die Nato dabei den Konsens, daß es nicht darum ginge,
Gaddafi zu beseitigen.

Nun könnte man natürlich auf die Idee verfallen, gerade dies sei eine ganz besonders brillante
Strategie derart, daß man hinter diesem Lippenbekenntnis unter der Hand dieses Ziel
dennoch verfolgt und aus offensichtlichen Gründen sich lediglich vor der Weltöffentlichkeit
windet, irgendwann aber der pure Zufall dennoch eine Bombe auf Gaddafis Kopf fallen lässt
wie dazumal Herrn Freisler, als er nochmals aus dem Bunker in den „Gerichtssaal“ eilte, um
Akten zu retten, sodaß man dann konsterniert feststellen muß: „Huchherrje, das haben wir
eigentlich nicht gewollt, aber da es jetzt eben mal passiert ist….“
Das aber wäre, sieht man sich das bisherige Vorgehen an, nun wirklich Zufall, und ironischer
Weise sogar ein ungewollter. Ziel des Vorgehens der Nato ist es gerade nicht, Gaddafi zu
töten, aus mehreren Gründen.

Natointern war dieser Plan aufgrund diverser widerstreitender politischer Interessen zwischen
ihren Mitgliedern wohl offensichtlich nicht konsensfähig. Vor der Öffentlichkeit, der Uno und
mit Rücksicht auf das Kriegsvölkerrecht ein solcher Plan auch nicht vermittelbar, zumal das
Völkerrecht einen Krieg mit dem Zweck des „Systemumbaus“ oder –sturzes gerade nicht
vorsieht. Da aber kaum etwas so dehnbar ist wie das Kriegsvölkerrecht, dürfte dies eher ein
Scheinargument sein. Viel stärker spielt hier wohl die Macht der Fakten und der Erfahrungen
eine Rolle. Das verbrannte Kind scheut das Feuer. Führe man sich vor Augen, daß hier zwar
offiziell die Nato das Zepter führt, in deren Reihen üblicherweise die USA wenigstens das
Zünglein an der Waage sind, diesmal aber gerade die USA sich aus dem ganzen
weitestgehend heraushalten (was bezeichnend ist für die Frage, wie stark die USA noch in der
Lage sind, ihre gewünschte Stellung als Hegemonialmacht wahrzunehmen) und faktisch weit
weniger die Nato als vielmehr die Europäer allein diese Operation betreiben.
Der Systemwechsel als politisches Ziel militärischer Mittel ist deshalb tatsächlich
unerwünscht, weil man anhand der Erfahrungen im Irak und Afghanistan feststellte, daß
dieses politische Ziel dazu tendiert, seine Konkretheit, Realisierbarkeit, Erreichbarkeit zu
verlieren, mithin gerade in diese Uferlosigkeit läuft, die jegliche militärische Mittel
überdehnt. Glaube man bloß nicht, nunmehr sei der Irak politisch stabilisiert, nur weil er aus
dem Fokus der Weltöffentlichkeit entschwunden ist. Erinnere man sich vielmehr des
Auftrittes von George W. Bush auf einem Flugzeugträger, welcher das Kriegsende
verkündete, woraufhin das Desaster erst richtig begann. Erinnere man sich des peinlichen
Lavierens um die Frage, wie man nun endlich wieder aus Afghanistan herauskommt, ohne
jegliches Gesicht zu verlieren und ohne sogleich das Ergebnis des russischen Abzuges 1988
zu wiedeholen: den augenblicklichen Sturz des Marionettenregimes.
Die Nato will und kann, zumal die USA als stärkste politische und militärische Macht sich
wohlweislich heraushalten, nicht das dritte Wespennest anstechen, um auf unabsehbare Zeit in
einen Konflikt hineingezogen zu werden, der in jeder erdenklichen Hinsicht mit einem hohen
Blutzoll bezahlt werden müsste. Ganz abgesehen davon, daß die Europäer allein nicht über
die militärischen Ressourcen und Reserven verfügen, ein solches Abenteuer bis zu seinem
unvorhersehbaren Ende zu führen, ja mit Sicherheit in kürzester Frist an der Heimatfront eine
gewisse Kriegsmüdigkeit einträte (die im übrigen schon jetzt zu beobachten ist: die
Öffentlichkeit reagiert mit wachsendem Desinteresse).

Den Regimewechsel von Außen herbeizuführen ist also politisch unerwünscht, so daß anstelle
eines politischen Planes, einer Strategie das Prinzip Hoffnung getreten ist. Was vorliegend
nichts anderes bedeutet, als die Wunschvorstellung, das Problem werde sich intern lösen,
indem die libyschen Rebellen Gaddafi zum Teufel jagen. Entsprechend analoger historischer
Erfahrungen ist dies aber im ersten Ansturm nicht geschehen, so daß sich hieraus zwei
Alternativen ergeben: Gelingt es einer revolutionären Bewegung nicht, auf Anhieb sich des
ancien régime zu entledigen, so scheitert der Aufstand, oder aber es schließt sich ein langer
blutiger Bürgerkrieg an, dessen Ausgang offen ist.
Die Idee, besser Hoffnung der Europäer, die Aufständischen sollten den Systemwechsel aus
eigener Kraft herbeiführen, führte nun aber dazu, daß nach der Feststellung, daß die Kräfte
des Aufstandes zu schwach hierzu sind, zu der Strategie, die Rebellen irgendwie zu stärken
und zu unterstützen, ohne unmittelbar militärisch in den Strudel mit hineingezogen zu
werden, also irgendwie eine weiße Weste in der einen Richtung (moralisch wie politisch nicht
das Gesicht zu verlieren) wie in der anderen (sich nicht in einen neuen unendlichen Konflikt
hineinziehen zu lassen) zu bewahren. Das beste, da halbherzigste Mittel hierzu ist die
Unterstützung aus der Luft. Man tut etwas, zeigt so etwas wie Stärke, ist nicht untätig und
bleibt doch außen vor.

Alle militärhistorischen Erfahrungen aber belegen, daß dies nicht ausreichen wird. Schon
weiter oben wurde darauf hingewiesen, daß es neben dem politischen Ziel eines Krieges auch
auf die Geeignetheit der militärischen Mittel ankommt, die zur Realisierung dieses Zieles
eingesetzt werden. Hier aber sei darauf hingewiesen, daß die Militärgeschichte bislang belegt,
daß weder ein Krieg allein aus der Luft zu gewinnen ist, noch eine rein aus unausgebildeten
Freischärlern zusammengesetzte Truppe, auch wenn man sie von außen unterstützt, in der
Lage ist, sich allein gegen einen zumindest halbwegs organisierten Militärapparat
durchzusetzen (was umgekehrt allerdings ebenso gilt, was zu den gefürchteten Pattsituationen
eines asymmetrischen Krieges führt).
Als England im 2. Weltkrieg über keine Kriegsmittel außer seiner Luftwaffe mehr verfügte,
um in irgendeiner Weise gegenüber Nazideutschland Initiative zu zeigen, begann es den
Luftkrieg, der wiederum zu dem fatalen Dogma des Luftmarschalls Harris führte, er könne
den Krieg allein aus der Luft gewinnen. Die Fakten lehrten etwas anderes.
Bevor Tito mit seinem Partisanenheer nicht den operativen Anschluß an die heranrückende
Front der Roten Armee gewann, war er zwar in der Lage, die Situation auf dem Balkan zu
destabilisieren und erhebliche deutsche Kräfte zu binden, jedoch nicht (trotz erheblicher
alliierter Unterstützung aus der Luft, per Logistik, Nachschubes, militärischer Berater und
Ausbilder) den Balkan zu befreien. Das gelang erst, nachdem die Wehrmacht aufgrund des
Druckes der Roten Armee ohnehin gezwungen war, sich aus Südosteuropa abzusetzen.
Hinzu tritt aber noch die militärgeographische Besonderheit Libyens, die man ebenso aus
Erfahrungen der Vergangenheit ableiten kann: Sei es der Wüstenkrieg 1940 – 1943, seien es
die Operationen eines Lawrence von Arabien 1917, der statische Besitz eines Territoriums aus
Wüstensand, so groß es auch sein mag, ist für die entscheidende Frage des Kriegsgewinnes
vollkommen irrelevant. Wüstenkrieg ist Bewegungskrieg, setzt also notwendiger Weise den
Einsatz hochbeweglicher Bodentruppen voraus. Wer den Krieg gewinnen will, muß den
Gegner aus der Bewegung heraus schlagen, für die Entscheidung über den Sieg spielt dabei
der temporäre Besitz eines festen Platzes, einer Stadt keinerlei Rolle.

Das bedeutet, daß zwar Rebellen wie Regierungstruppen jeweils die eine oder andere Stadt
halten mögen, aber weder die eine noch die andere Seite derzeit offensichtlich in der Lage ist,
von diesen „Oasen“ aus über die Wüste hinweg eine bewegliche Kriegsführung zu führen,
welche dem Gegner die eigene Initiative aufzwingt, um ihn entscheidend zu schlagen. Diese
Problematik spiegelt sich auch gerade im tatsächlichen Kriegsverlauf wieder, welcher sich in
einzelne Scharmützel um einzelne Städte aufspaltet, in welchen das Kriegsglück hin- und
herschwankt, ohne daß es einer der Parteien gelänge, die Oberhand zu gewinnen.

Zieht man hieraus die Schlußfolgerungen, so ergibt sich einerseits, daß – allerdings wohl
ungewollt – Herrn Westerwelle zumindest insofern Recht zu geben ist, als er versuchte,
Deutschland aus diesem neuen Wespennest herauszuhalten. Nun mag man natürlich empört
aufschreien, auf die Moral, die Menschenrechte verweisen und es als schändlich empfinden,
sehenden Auges zuzulassen, daß ein Diktator, der den Eindruck hinterlässt, nicht ganz bei
Verstande zu sein, Krieg gegen das eigene Volk führt. Wenn man aber mit der Moral
argumentiert, was die deutsche Öffentlichkeit im ersten hysterischen Augenblick immer gerne
tut, so sollte man auch stringent bei dieser Argumentation bleiben. Das aber ist nicht der Fall.
Syrien, wohl aufgrund des Abnutzungs – und Übersättigungeffektes infolge eines Übermaßes
an Berichterstattung von arabischen Revolutionen, spielt in der moralischen Entrüstung der
Öffentlichkeit gar keine Rolle. Weitergehend, wohl aus gleichen Gründen, ist das Interesse
am libyschen Bürgerkrieg nach der Anfangshysterie der Berichterstattung und öffentlichen
Wahrnehmung merklich abgeklungen, ebenso wie das Interesse an den sogenannten
arabischen Demokratiebewegungen in Ägypten, Tunesien oder Jemen (wobei diese auch nur
insoweit Demokratiebewegungen sind, als wir uns dies selbst ein- und schönreden, was
besonders deutlich wird am Jemen, dessen Präsident weniger aus Gründen der
Demokratiesehnsucht, als vielmehr wegen wirtschaftlicher Unzufriedenheit und
widerstreitenden Claninteressen wankt). Der Konflikt droht also wie schon Afghanistan, Irak
oder Fukoshima dem kollektiven Vergessen, um nicht zu sagen Desinteresse anheimzufallen.

Zum anderen muß man aber festhalten, daß sich die Waagschale in diesem Krieg nur dann zur
Seite der Rebellen neigen wird, wenn sie die Fähigkeit erhalten, mit weittragenden,
beweglichen Operationen die Regierung entscheidend zu schlagen. Das wird aber nur dann
gelingen, wenn man die Rebellen selbst in diese Fähigkeit bringt (mittels entsprechenden
Materials und Ausbildung, was aber nicht von heute auf morgen geht), oder aber selbst als
Nato oder Europa aktiv wird, also mit beweglichen, schnell operierenden Verbänden am
Boden eingreift. Das aber wiederum will man offensichtlich nicht.

Ergebnis ist, daß man weder bereit ist, direkt einzugreifen, sei es durch „Beseitigung“
Gaddafis, sei es durch Eingreifen mit Bodentruppen, noch es unterlassen will, komplett die
Finger aus der Sache zu halten, die europäische Öffentlichkeit einerseits den moralinsauren
Finger erhoben hat, aber durchaus mit zweierlei Maß misst, andererseits aber auch nicht bereit
ist, den Weg bis zur letzten Konsequenz zu schreiten. Fatal hieran aber ist, daß genau das
eintritt, was man eigentlich mit diesem halbgaren Lavieren zu vermeiden trachtete, nämlich in
einen unüberschaubaren Konflikt dauerhaft hineingezogen wird, aus dem man sich halbherzig
heraushalten wollte, ebenso halbherzig aber mitmischen wollte, um das politische wie
moralische Gesicht zu wahren.

Eben weder Fisch noch Fleisch.

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