Libyen - worum es dem Westen wirklich geht

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polis
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Libyen - worum es dem Westen wirklich geht

von polis am 20.03.2011 11:35




Libyen - worum es dem Westen wirklich geht
von polis-Gastautor Ulrich Kasparick

Dieser Krieg ist im Kern ein Krieg gegen die afrikanischen Flüchtlinge und ein Krieg um den Einfluss auf Rohstoffquellen


Ulrich Kasparick

5 Milliarden Euro soll nach Informationen von ARD "Brennpunkt" Gaddafi von den Italienern dafür erhalten haben, daß er die in Italien gelandeten Flüchtlinge zurücknimmt. Frankreich hat als alte Kolonialmacht nach wie vor starke Interessen in Nordafrika. Sarkozy hat die früheren Diktatoren Nordafrikas nicht zuletzt deshalb heftig umarmt und hofiert, weil sie ihm behilflich waren, ihm die afrikanischen Flüchtlinge vom Hals zu halten. (Gaddafi wird oft mit dem Satz zitiert: "Ohne mich hättet ihr mehr Flüchtlinge....")

Was sind das für Menschen, die aus ihrer Heimat weg gehen, weil sie völlig verarmt sind?Es sind Menschen, die zu großen Teilen von der Landwirtschaft leben.Sie können aber ihre Produkte auf dem Markt des Dorfes oder der Stadt nicht mehr verkaufen, weil billige europäische Landwirtschaftsprodukte dort zu haben sind. Die sind besser und billiger.Also hat der Afrikaner ein Problem. Niemand kauft bei ihm. Die europäischen Landwirtschaftsprodukte - zum Beispiel Körperteile von Hühnern - der Westen isst ja nur die Filetstücken - sind aber deshalb so billig, weil sie massiv subventioniert werden.Mit dem Geld des europäischen Steuerzahlers.Man nennt das Agrarsubvention.Für diese Agrarsubventionen kämpfen insbesondere französische und spanische Landwirte mit Vehemenz. Die Agrarlobby in Europa ist eine der mächtigsten Lobbygruppen überhaupt. Der größte Teil der europäischen Subventionen fließt in den Agrarbereich.
Wenn nun also auch die von französischen Agrarinteressen geleitete Subventionspolitik zur Verarmung in Afrika beiträgt - und zwar maßgeblich beiträgt - und wenn gleichzeitig die europäischen Staaten, voran Frankreich und Italien, ein hohes Interesse daran haben, daß die Flüchtlinge nicht nach Europa kommen, dann ist dieser Krieg in Nordafrika durchaus als ein Krieg gegen die afrikanischen Flüchtlinge zu verstehen.
Mit Jean Zieglers Worten könnte man sagen: "Europa will die Folgen seines eigenen Handelns nicht sehen".

Nach den "Revolutionen" in Nordafrika sind den Europäern die früheren Partner abhanden gekommen, mit denen sie Verträge ausgehandelt hatten über die Rücknahme der Flüchtlinge. Frankreich führt nun mit besonderer Vehemenz die "Luftschläge", die ja im Kern Bombardements sind, gegen seinen früheren Busenfreund. Warum? Weil es ein hohes Interesse daran hat, mit einer Regierung, die "nach Gaddafi" kommt, in Kontakt zu treten. Der Flüchtlinge wegen....

Ein Zweites tritt hinzu: die ausländischen Direktinvestitionen in afrikanischen Staaten sind zum überwiegenden Anteil Investitionen in die Mineralölinfrastruktur. Im ARTE-Beitrag über die Beziehungen zwischen Europa, USA und Afrika in Bezug auf die Rohstoffe wird das deutlich erklärt.Deshalb: wenn nun mit den üblichen Mitteln der Krieg Europas in Libyen mit dem "Schutz der Zivilbevölkerung" begründet wird und dem Satz man könne "nicht zuschauen, wie der Diktator seine Bevölkerung massakriert" erlaube ich mir mit Jean Ziegler den zarten Hinweis auf die unsäglichen Massaker, die Europa in Afrika angerichtet hat.
Die Geschichte der Kolonisation Afrikas, die Ausbeutung des Kontinents durch die Europäer; die "Fortsetzung der Kolonisation mit anderen Mitteln" (Rohstoffe; Flüchtlingsabwehr) - all dies spielt zentral eine Rolle bei allen Umwälzungen in Nordafrika.

Ich glaube den Militärs kein Wort, wenn sie ihren Krieg mit dem "Schutz der Zivilbevölkerung" begründen. Nun läuft es ab, wie es immer abgelaufen ist: die "richtigen Bilder" werden geliefert; die begleitende Marschmusik in Print und TV ist auch zu hören; die Stimmung in der Bevölkerung ist sehr stark auf den Krieg eingestellt.Das alles wird eines nicht verhindern:Europa muss sich endlich mit den Folgen seines Handelns in Afrika auseinandersetzen. Die Armut in Afrika hängt eng mit dem Handeln Europas in Afrika zusammen. Die südlichen Länder wollen endlich Genugtuung von Europa. Sie wollen keine neuen Bomben. Sie wollen Anerkenntnis und Entschädigung.

Der UN-Generalsekretär Khofi Annan und Hochkommissarin Mary Robinson hatten deshalb im August/September 2001 zur Weltkonferenz gegen Rassismus nach Darfur eingeladen. Auf dieser Konferenz wurde vom ersten Tag an deutlich, was die Stunde geschlagen hat: die südlichen Länder redeten von Anfang an deutliche Worte.Aber der Westen verstand sie nicht.....
Der Hass auf den Westen wächst weiter.

Und dieser Krieg, der nun begonnen wird - die größte Militär"intervention" seit dem Irakkrieg 2003 - wird nicht zu mehr Verständnis zwischen Europa und Afrika beitragen, sondern er wird das Elend unter Flüchtlingen und zivilen Opfern weiter vergrößern, er wird den Graben zwischen Europa und Afrika vergrößern. Der Haß auf Europa wird weiter wachsen.....ARTE hat in mehreren Beiträgen das Problem aufgefächert:zum Thema "Rohstoffe":http://www.youtube.com/watch?v=AwzvdB9UM_o

und zum Thema "Mittelmeerunion" mit den Unterpunkten Wohlstandsgefälle und Migration

http://www.youtube.com/watch?v=9RbnADxGk5Q

Dass es sich bei den "Revolutionen" in Nordafrika ganz zentral auch um das Problem der Armut handelte, wurde ja glücklicherweise sogar in den Fernsehbeiträgen deutlich.

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Ulrich Kasparick war langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär im Forschungs- und Verkehrsministerium. Er arbeitet inzwischen als Schriftsteller und Publizist.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 20.03.2011 11:38.

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