"Halt die Klappe"!

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polis
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"Halt die Klappe"!

von polis am 30.12.2011 18:11

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"Halt die Klappe"!



Anetta Kahane

Vielleicht stimmt es ja und die Ereignisse um das Nazi-Trio aus Jena haben die Öffentlichkeit in Deutschland sensibler gemacht. Für den Umgang mit Einwanderern, für die Tatsache, dass Nazis tatsächlich in der Lage sind, gezielt zu töten; sensibler gegen die kalte Gleichgültigkeit, die das möglich machte. Vielleicht ist den Verantwortlichen der Verfolgungsbehörden klar geworden, dass sie durch ihr abenteuerliches Versagen Mitschuld am Tod von Menschen haben. Vielleicht denken auch diejenigen nun nach, denen es bisher egal war, wer sich da in der eigenen Nachbarschaft bewegt; solange sie nur die Ruhe nicht stören und weiß sind. Vielleicht.

Nun beginnt ein neues Jahr und so sehr uns das alte begleiten wird, ist dies auch wieder ein Anlass, nach vorn zu schauen. Es gibt gewiss nicht viele Gründe optimistisch zu sein. Dennoch sind Jahreswechsel dazu da, neue Pläne zu machen oder Dinge anders zu betrachten. Mir ist in den Diskussionen der vergangenen Wochen um den Naziterror aufgefallen, dass in Deutschland nur in eingefahrenen Bahnen gedacht und - manchmal - gehandelt wird. Ein Anlass wie die ungeheuerliche Verquickung von Versagen und politischer Blindheit erschreckt zwar für einen Moment, hat aber keine Folgen, die von irgendeinem politischem Mut zeugen. Deshalb ist es an uns, dies einzufordern. Und zwar jenseits des Selbstverständlichen, wie die Aufklärung der Verbrechen und die Untersuchung der Versäumnisse und Bestrafung aller Beteiligten. Was unsere Gesellschaft braucht, ist ein überzeugender Schutz ihrer Minderheiten!

Das ist eine Aufgabe, die gesetzliche und gesellschaftspolitische Dimensionen haben muss: Gesetzlich bedeutet zum Beispiel das Staatbürgerschaftsrecht zu überarbeiten, damit es mehr Einwanderern möglich ist, Deutsche zu werden. Es bedeutet auch, widersinnige Einschränkungen für Flüchtlinge aufzuheben, wie die Residenzpflicht, Unterbringung in abgelegenen Heimen oder die Versorgung durch Gutscheine. Daneben geht es darum, Gesetze, die es bereits gibt, auch anzuwenden, wie das Verbot der Diskriminierung. Um dem Recht hier Geltung zu verschaffen brauchen wir nicht mehr Behörden, sondern vom Staat gewollte, unabhängige Institutionen, wie in anderen Ländern, die dieses Recht umzusetzen helfen.

Gesellschaftspolitisch muss mehr gegen Rassismus getan werden. Die Opfer brauchen nicht weniger, sondern mehr Beratung. Und die Kommunen sollten dafür haften, wenn ihnen Verschulden daran nachgewiesen werden kann, dass Minderheiten dort weniger sicher sein können als deutsche "Durchschnittsbewohner". Das ist nicht nur eine Aufgabe der Polizei, sondern erfordert eine Kultur im Alltag, die Menschen zu schützten hilft und sie nicht durch Gleichgültigkeit den Nazis oder "normalen" Rassisten ausliefert. Denn die hätten keine Chance, wenn deutsche Durchschnittsbürger ihnen klarmachen würden, dass sie Rassismus nicht dulden - in keinem Detail des täglichen Lebens.

Da nun der große Ruck in der Gesellschaft nach dem Bekanntwerden der Morde ausgeblieben ist, müssen wir im neuen Jahr selbst rucken. Das bedeutet als erstes, sich nicht durch die politische Zuständigkeitsmaschine entmutigen zu lassen, die jedes Problem solange zerhackt, bis kein Gesamtbild mehr zu sehen ist, bis niemand mehr weiß, was er oder sie wirklich tun kann, um mit dem deutschen Naziproblem fertig zu werden. Wir lassen uns nicht einfach dadurch abschütteln, dass die Karawane nun weiterzieht, die Medien kaum noch berichten oder die Politik einfach gar nicht reagiert!

Das neue Jahr erwartet uns mit vielen Möglichkeiten. Wie wäre es mit dem Schutz vor Diskriminierung zu beginnen? Wir erleben ständig, wie Leute ungleich behandelt werden. Sich hier einzumischen wäre ein guter Anfang. Oder in der eigenen Partei das Thema Neonazis und Diskriminierung hartnäckig zu verfolgen? Oder politische Forderungen zu stellen, auch wenn sie gerade nicht durch aktuelle Ereignisse flankiert werden? Oder Projekte zu unterstützen? Oder wenn jemand mal wieder herabsetzend über Einwanderer schwatzt, wie wär's dann einfach mal kurz und klar zu sagen: "Halt die Klappe"!

Ihre Anetta Kahane

PS: In den vergangenen zwei Jahren ist es erfolgreich gelungen, den größten europäischen Naziaufmarsch in Dresden zu verhindern. Seien Sie auch dieses Jahr im Februar 2012 dabei!

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung.

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/start/ 

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2011 18:22.

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