Etwas von meiner alten Tante….

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polis
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Etwas von meiner alten Tante….

von polis am 26.04.2011 22:12




Etwas von meiner alten Tante….
von polis-Gastautor Ulrich Kasparick


Ulrich Kasparick

Während der Diktatur hatte ich mit Parteien nichts am Hut. Denn sie waren gleichgeschaltet. Vorneweg die SED, hinterdrein die Blockflöten. Weshalb ich mich nie an Wahlen und dergleichen beteiligt hab. Weder bei den Pionieren noch bei der FDJ, in keinem Armeelager und sonstigem Tun.
Das hat ne Menge Probleme gemacht, war aber dennoch richtig.
An Wahlen mochte ich mich nicht beteiligen, denn es waren keine freien Wahlen.
Für freie Wahlen haben wir aber gekämpft. Und haben uns den Zorn der Obrigkeit aufs Haupt gezogen.
Gewisse Akten sprechen davon Bände.
Aber: es hat sich gelohnt, vor 20 Jahren fiel der Zaun.
Und wir konnten endlich, endlich, Parteien gründen.
Endlich würde es freie Wahlen geben.
Im Herbst 1989 kam ich zur SDP, da war sie keine Woche alt, hab im ersten Vorstand gearbeitet, damals, in der Rungestraße.
Hab sie kommen und auch wieder gehen sehen – die Hoffnungsträger. Und hab meine Arbeit gemacht.
Nun hatten wir ne Demokratie, aber wenig Demokraten.
Weshalb wir ausbilden mussten. Ich bin deshalb damals zur Friedrich-Ebert-Stiftung gegangen, im Jahr 1990 und hab mitgeholfen, eine Demokratie aufzubauen, wo die „Diktatur des Proletariats“ ziemliche Wüstenei in den Hirnen hinterlassen hatte.
10 Jahre ging das. Und wir waren nicht faul.
So manches Bürgerradio ist entstanden durch unsere Arbeit, so manche Interessenvertretung. Ganze Landesverbände von ihre Interessen selbst vertretenden Menschen haben wir solange mit unseren Workshops und Seminaren gestützt, bis sie selbständig arbeiten konnten.
Da ist viel Richtiges gewachsen.
Und so mancher, der in Ämter gewählt wurde, hat sein Wissen von unseren Seminaren und Tagungen gehabt.
Dann fing man an zu drängeln, ich solle doch kandidieren für’s Parlament.
Ich wollte nicht, denn so ein Landesbüro einer politischen Stiftung hat, wenn man es richtig anpackt, weitaus mehr Einfluss als ein Abgeordneter in einer sehr großen Fraktion.
Aber dann doch.
Ich lernte die Konkurrenz innerhalb einer Partei kennen. Aus Genossen wurden Rivalen. Es war keine schöne Erfahrung.
Unter sechs Bewerbern haben sie mich dann ausgewählt, zu kandidieren und ein ehemals schwarzer Wahlkreis wurde rot – den Wählerstimmen nach.
Ich hatte immer super Teams. Ohne sie wäre das alles nicht gelungen.
Drei Direktmandate in Folge waren das Ergebnis ihrer Arbeit.
Im Parlament folgte ein Ruf ins Bundesforschungsministerium, später ins Bundesverkehrsministerium.
Dann, im Jahre 2009, Frühjahr war es, hab ich mich entschieden, nicht erneut für etwas zu kandidieren. Eine Niere raus und ein leichter Schlaganfall sollten genügen beim Versuch, die Welt zu retten…..
Die SPD ging im Herbst nach den Wahlen in die Opposition.
Ich lernte nach ziemlich genau 20 Jahren im Hamsterrad des politisch hoch Engagierten und auch Getriebenen, aus dem Abstand den Politikbetrieb zu sehen. Ein Büchlein ist entstanden.
Mir scheint manchmal, mit etwas Abstand sieht man manche Dinge klarer. Es könnte an der Entfernung liegen.
Mich hat geärgert, weshalb die SPD in Sachen Afghanistan unklar blieb, wo doch die niederländischen Sozialdemokraten sogar eine Regierungsbeteiligung wegen dieser Frage riskierten.
Als die „zuständigen Gremien“ schließlich entschieden, ein Ausschlussverfahren gegen den Hetzer Sarrazin nicht länger zu verfolgen, war für mich die Frage zu klären, wie es mir mit meiner Mitgliedschaft in der Partei eigentlich so geht.
Es war sehr schnell klar: für mich geht eine Mitgliedschaft nicht mehr. Ich mag nicht ständig angepflaumt werden, ich sei doch in der selben Truppe wie der da.
Ich kritisiere nicht die Entscheidung des Vorstandes, ich bin nicht Mitglied in diesem Gremium.
Ich habe lediglich zu entscheiden, wie ich selbst mit dieser Entscheidung des Vorstandes umgehen will.
Schlucke ich sie? Nehme ich sie einfach hin? Oder verändere ich meine Beziehung?
Ich habe mich dafür entschieden, nach zwanzig sehr bewegten Jahren – die Mauer fiel, wir haben ziemlich gerackert, daß Deutschland allmählich zusammenwächst und insgesamt gemokratischer wurde – meine Mitgliedschaft zu beenden.
Dag Hammerskjöld war der Ratgeber: „Es ist wichtiger, die eigenen Motive zu kennen, als die Beweggründe der anderen zu verstehen.“
Und nun segle ich in meinem Schiffchen in anderen Gewässern.
Meine alte Tante SPD wird ihren Kurs fahren. Gelenkt von zuständigen Gremien.
Mein Schifflein nimmt nun anderen Kurs.
Es gewinnt an Freiheit.
Denn nun kann noch klarer gesprochen und geschrieben werden. Klarheit war mir schon immer wichtig. Nicht, um eines Prinzips willen, sondern möglichst gut argumentiert.
Ich richte meine Entscheidung gegen niemanden.
Auf eine solche Situation, wie sie durch die Entscheidung des Vorstandes entstanden ist, kann man auf verschiedene Weise reagieren.
Die einen wollen kämpfen innerhalb der SPD; andere schweigen stille; wieder andere gehen.
Ich habe mich nun für diesen Weg entschieden, als eine Weggabelung kam und zu entscheiden war, welcher Weg weiter verfolgt werden soll.
Ich bleibe meiner alten Tante gewogen.
Sie mir hoffentlich auch.
Aber mein Schifflein segelt nun auf hoher See und wird andere Weggefährten finden….
Alles Gute, alte Tante! Es waren gute Jahre!

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Ulrich Kasparick war langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär im Forschungs- und Verkehrsministerium. Er arbeitet inzwischen als Schriftsteller und Publizist.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 02.05.2011 10:50.

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