Entnazifizierung 2.0 - Teil 2/3

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Entnazifizierung 2.0 - Teil 2/3

von polis am 23.11.2011 18:19

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Entnazifizierung 2.0 - Teil 2/3

von polis-Gastautor Kamuran Sezer


Kamuran Sezer

Die deutsche Gesellschaft muss hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Denn Fremdenhass ist Teil dieser Gesellschaft. 

In den Medien spricht man vom Rechtsterrorismus. Das ist nicht seltsam, das ist verstörend! Denn Terrorismus ist eine Kommunikationsstrategie. Durch den Akt der Gewalt, durch diese Menschen und Gegenstände zu Schaden kommen, soll etwas gesagt werden. Eine Botschaft wird verkündet!

Wo war die Botschaft dieser vermeintlichen Terrorzelle über 14 Jahre? Kann es sein, dass diese drei Rechtsextremen keinen Wert auf die öffentliche Verkündigung ihrer Botschaft gelegt haben? Dass es Ihnen ausgereicht hat, von den eigenen Kameraden besungen zu werden? Glaubten Sie, dass Helden sich nicht ernennen sondern gemacht werden? Helden sprechen nicht, über sie wird gesprochen.

Oder kann es gar sein, dass die in dieser Sache ermittelnden Organe des Rechtsstaats kein Interesse hatten, dass die Botschaft die Öffentlichkeit erreicht? Vielleicht weil in ihnen Sympathieträger der Hassideologie wohnen? Oder sie organisational konditioniert sind, bei Rechtsextremismus wegzusehen, weil es ein unangenehmes Thema ist, ein Tabu?

Der Terror, den die Öffentlichkeit jetzt empfindet, ist ex post entstanden. Terror war nicht der Zweck dieser drei Rechtsradikalen, er war nur das Mittel. Angst haben wir und beschämt sind wir, nachdem alles aufflog. Exekutionskommando ist daher der Begriff, der nach allen bisherigen Erkenntnissen die Motivation und Operation dieses Kommandos am besten beschreibt. Und war es auch das einzige?

Es gibt viele Fragen, die beantwortet werden müssen und auch Antworten erhalten werden. Davon bin ich überzeugt! Doch die entscheidende Frage lautet: Wird damit auch der Fremdenhass, der dieser Gesellschaft inhärent ist, endlich überwunden?

Ja, dieser Gesellschaft wohnt ein Fremdenhass inne. Nicht nur nach Hoyerswerda, Mölln, Solingen oder Hetzjagden auf Schwarze mit Todesfolgen oder pi-news.net ist offensichtlich geworden, dass die autochthon-deutsche Gesellschaft ein gravierendes Problem damit hat, anzuerkennen, dass Ausländer in dieser Gesellschaft leben.

Die Deutschland-schafft-ab-Debatte und die Islam-Debatte und Das-darf-mal-gesagt-werden-Debatte waren ebenso ein starker Hinweis. Die Debatte über die deutsche Leitkultur (und nicht die Leitkultur an sich) war ebenfalls ein Zeugnis von Fremdenhass in dieser Gesellschaft.

Man führe sich vor: In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in dieser eine lebendige Vielfalt von Lebenskonzepten existiert sowie Individualität und Selbstbestimmung erwünscht sind und in Schulen als Wert vermittelt werden, wird ausgerechnet bei der Gruppe der "Ausländer" gefordert, dass sie sich nicht in den Pluralismus einordnen und über ihr Leben selbst bestimmen dürfen.

Nein! Sondern sie müssen sich einer Leitkultur, einer Deutschen nämlich, Folge leisten! Täte der Ausländer dies, würde er seine selbstbestimmte Souveränität aufgeben - ein unmündiger Sklave wäre er. Der kontrolliert, gelenkt und geformt werden kann. Von dem keine Gefahr ausgeht.

Unsere Kinder werden sich für uns schämen und weinen, befürchte ich!

Unsere Gesellschaft heute wirkt so fortschrittlich und zivilisiert, im Vergleich zur Gesellschaft im Nationalsozialismus oder in den früheren Jahren der Bundesrepublik. Doch da täuschen wir uns, befürchte ich! Fortschritt, das habe ich verstanden, ist nicht eine technologische Entwicklung oder die Verbesserung von Lebensqualität oder das Vermehren von Vermögen. Fortschritt ist die Fähigkeit, Mechanik und Struktur einer Gesellschaft, sich ständig hinterfragen zu können und zu dürfen.

Der kleinste Baustein des Fremdenhass' in der Mehrheitsgesellschaft ist das Wort.

Die Manifestation des Fremdenhass' beginnt schon beim Begriff "Zuwanderer". Zuwanderer, das ist jemand, der zu unserer Gesellschaft kommen und uns beiwohnen kann. Der aber auch wieder gehen muss. Der Zuwanderer, der bleibt das Öl-Tropfen im Wasserglas.

Und genau so sieht auch die aktuelle Migrationspolitik aus: Hochqualifizierte Zuwanderer beispielsweise, die dürfen kommen und für einige Jahre hier bleiben. Verlassen sollen sie aber Deutschland danach! Das ist unser Angebot an die Talente dieser Welt. Ein Hohn, nein Spott, wenn angesichts dessen von Willkommenskultur in dieser Gesellschaft gesprochen wird.

Unsere demografie-erschütterte Gesellschaft braucht aber keine Zuwanderer sondern Einwanderer, die sich hier niederlassen, so lange wie sie es wollen - und nicht so lange wie irgendwelche vorurteilsbeladene Technokraten es wünschen.

Ob wir wollen oder nicht - wir sind längst eine multiethnische und -religiöse Gesellschaft geworden. Man kann sie ignorieren, sie nicht mögen oder ablehnen. Sie kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wie denn auch?

Wie will man hunderte Moscheen und Dutzende Synagogen weg machen? Was soll mit dem Kapital geschehen, das den Ausländern in dieser Gesellschaft gehört? Wie sollen die Unternehmen verschwinden, die von Ausländern gegründet wurden und betrieben werden? Und die Medaillen und Auszeichnung der Ausländer, die sie gewonnen oder erhalten haben? Was soll mit den Büchern, die von den Ausländern geschrieben wurden?

Die Antworten auf diese Fragen führen uns viel schneller - als wir erahnen - auf denselben oder ähnlichen Pfad, den der Nationalsozialismus schon einmal beschritten hat. Hören wir also auf, arrogant zu sein und uns sicher zu fühlen!

zu Teil 1

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Der Autor, ist Diplom-Sozialwissenschaftler, Berater und Publizist sowie Gründer und Inhaber des futureorg Instituts für angewandte Zukunfts- und Organisationsforschung mit Sitz in Dortmund.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 23.11.2011 18:27.

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