Die Sorgen der Deutschen ernst nehmen

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polis
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Die Sorgen der Deutschen ernst nehmen

von polis am 27.09.2011 15:53

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Die Sorgen der Deutschen ernst nehmen

Beschluss des SPD-Parteivorstandes zur Änderung des Vertrages über die „European Financial Stability Facility" (EFSF) im Deutschen Bundestag am 29. September 2011

Der SPD-Parteivorstand hat in seiner Sitzung vom 26. September 2011 folgenden Beschluss gefasst:

Viele Menschen in Deutschland sind angesichts der aktuellen Debatte über die zu ergreifenden Maßnahmen zur Stabilisierung der Währungsunion und zur Unterstützung der hochverschuldeten Euro-Länder zutiefst verunsichert und machen sich Sorgen: Sorgen um die Stabilität unserer Währung, um das Ersparte und Erarbeitete und die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Diese Sorgen und berechtigten Fragen sind kein Ausdruck der Abwendung von Europa oder von der gemeinsamen europäischen Währung „Euro",
sondern sie beinhalten berechtigte Fragen:

• Sind wir in der Lage und ist es gerecht, dass Deutschland große finanzielle Verantwortung für die Stabilisierung der Währungsunion und des europäischen Bankensektors übernimmt?
• Gibt es keine Alternativen zu einer gemeinsamen Haftung der Mitglieder der Euro-Zone für den milliardenschweren „europäischen Rettungsschirm"?
• Ist Vorsorge getroffen, dass die Ursachen der aktuellen und der vorangegangenen Finanz- und Wirtschaftskrisen sich nicht immer wiederholen?
• Hat die deutsche und europäische Politik überhaupt den Überblick und die Kraft, die Krise richtig zu beurteilen und zu beherrschen?
• Ist die derzeitige Konstruktion Europas effizient und ausreichend demokratisch?

Nicht alle diese Fragen sind neu und keine der verfügbaren Antworten kann für sich in Anspruch nehmen, keine Risiken zu beinhalten. Verantwortungsbewusste Politik tut deshalb gut daran, im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und Europa ernsthaft und mit Engagement die unterschiedlichen Antworten und Konsequenzen zu diskutieren.

CDU/CSU/FDP: Orientierungs- und verantwortungslos in der Krise

Genau das aber hat die aktuelle Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP seit mehr als eineinhalb Jahren versäumt! Stattdessen wurden dringend notwendige Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro immer wieder öffentlich bestritten, hinausgeschoben und am Ende viel zu spät in Angriff genommen. Die permanente Leugnung der wirtschaftlichen und politischen Realität, verbunden mit immer wiederkehrenden Ressentiments gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten der EU und einer völlig falschen Darstellung Deutschlands
als angeblichem „Zahlmeister" der Europäischen Union hat keinerlei Beitrag zu einer rationalen Diskussion und zu einer Verankerung der notwendigen politischen Entscheidungen in unserer Bevölkerung geleistet. Im Gegenteil: Form und Inhalt der lange Zeit orientierungslosen Politik der Bundesregierung hat zur Ablehnung der notwendigen Stabilisierungsmaßnahmen in der deutschen Bevölkerung massiv beigetragen.
Jetzt versucht die von der CDU-Kanzlerin angeführte Bundesregierung, ihre Fehler zu korrigieren: Mit der Öffnung des Rettungsschirms für direkte Anleihekäufe korrigiert die Bundesregierung ihre fahrlässige Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass die Europäische Zentralbank (EZB) seit dem letzten Jahr immer wieder als Nothelfer einspringen, Anleihen von Krisenstaaten aufkaufen musste und damit zur „Bad Bank" gemacht wurde. Die EZB musste handeln, weil die Regierung Merkel Handeln verweigert hat.
Dadurch haben CDU/CSU und FDP die Unabhängigkeit, Reputation und Glaubwürdigkeit der EZB schwer beschädigt. Dieser Schaden soll jetzt durch die neuen Befugnisse des neuen Rettungsschirms „EFSF" eingedämmt werden.
Mit der gleichfalls vorgeschlagenen Öffnung des Schirms für Darlehen zur Rekapitalisierung von Banken liefert die Bundesregierung darüber hinaus ein weiteres Eingeständnis: Die Krise ist keineswegs nur eine Krise überbordender Staatsverschuldung. Wir haben es vielmehr nach wie vor mit einer massiven Krise des Finanzsektors zu tun. Die Koalition stellt sich seit zwei Jahren blind für dieses Problem und unternahm keine wirksamen Schritte, um den Krisenherd der Finanzmärkte durch Regulierung, Aufsicht
und Besteuerung zu beruhigen.

SPD: Verantwortung für Deutschland und für Europa

Die SPD hat seit Beginn der Krise im Euro-Raum demgegenüber öffentlich klar gemacht, warum es auch im deutschen Interesse ist, die Stabilisierung der Währungsunion mit einer Weiterentwicklung und Demokratisierung der Zusammenarbeit in Europa zu verbinden. Die Rahmenbedingungen sind klar und eindeutig:

-Deutschland ist der Gewinner Europas: Deutschland ist nicht der „Zahlmeister Europas", sondern der politische und wirtschaftliche Gewinner der europäischen Einigung. Politisch, weil es die deutsche Einheit ohne die europäische Einigung nicht gäbe. Wirtschaftlich, weil Millionen deutscher Arbeitsplätze vom Export deutscher Güter und Dienstleistungen in die Europäische Union und die Euro-Zone abhängen. Mehr als 60 Prozent des deutschen Exports gehen in die EU. Nur wenn es unseren europäischen
Nachbarn gut geht, geht es auch Deutschland gut. Deshalb hat Deutschland ein eigenes nationales Interesse an der Stabilisierung der Währungsunion und am wirtschaftlichen Aufschwung in Europa. Und deshalb sind wir bereit, im Rahmen des Europäischen Rettungsschirms (EFSF) in einen gemeinschaftlichen Haftungsverbund für die Euro-Stabilisierung einzutreten. Dieser gemeinschaftliche Haftungsverbund des EFSF ermöglicht es den überschuldeten Mitgliedstaaten der Euro-Zone ihre notwendigen staatlichen Kredite
zu akzeptablen Zinsen zu erhalten. Gleichzeitig können dadurch im Krisenfall Banken stabilisiert und andere Mitgliedstaaten der Euro-Zone abgeschirmt werden. Allerdings ist diese Bereitschaft zur Übernahme von finanzieller Verantwortung durch Deutschland für uns Sozialdemokraten keine politische „Einbahnstraße".

-Der Bundestag hat das letzte Wort: Wir wollen die volle Wahrung der demokratischen Legitimation von haushaltswirksamen Rettungsmaßnahmen durch die EFSF. Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages müssen gewahrt und die Anforderungen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts strikt umgesetzt werden.

-Die Staatsschulden abbauen: Länder, die aufgrund zu hoher eigener staatlicher Ausgaben und einer ineffizienten, mangelhaften und sozial ungerechten Steuererhebung unverantwortlich hohe Staatsschulden herbeigeführt haben, müssen ihre staatlichen Ausgaben drastisch verringern und für gesicherte und angemessene Steuereinnahmen sorgen.

-Steuerdumping beenden – Schuldenbremsen einführen: Die Euro-Zone und die EU insgesamt benötigen wirksamere Regeln für eine solide Finanz- und Stabilitätspolitik in den Mitgliedstaaten. Dazu gehören auch Eingriffsrechte der Europäischen Union in die nationale Haushaltspolitik, wenn gegen die vereinbarten Finanz- und Stabilitätsziele der EU verstoßen wird. Zur gerechten Konsolidierung der Staatsfinanzen gehören nicht zuletzt Fortschritte bei der Harmonisierung der Steuerpolitik. Dass einige
Länder auf Kosten anderer Steuerdumping zur Strategie erklären, muss aufhören. Eine Angleichung der Unternehmensbesteuerung in Europa ist überfällig. Außerdem brauchen wir eine harte gemeinsame Linie bei der Bekämpfung von grenzüberschreitender Steuerhinterziehung.

Nur auf dem Weg einer so abgesicherten gemeinsamen Stabilitäts-, Finanz- und Steuerpolitik in Europa sind gemeinschaftliche Haftungen für die Schulden von Krisenstaaten auf Dauer verantwortbar. Die SPD ist bereit, dafür auch die Änderung der Europäischen Verträge in Angriff zu nehmen. Vor allem aber benötigen die europäischen Mitgliedstaaten auch wirksame nationale Stabilitätsregeln, die ähnlich disziplinierende Wirkung im Umgang mit staatlicher Verschuldung besitzen, wie die in der deutschen
Verfassung verankerte „Schuldenbremse".

-Gläubigerbeteiligung und „Schuldenschnitt": Gläubiger müssen in größerem Umfang bereit sein, auf Forderungen zu verzichten. Vor allem im Fall Griechenlands fordert die SPD ebenso wie alle wirtschaftlichen Sachverständigen in Deutschland seit mehr als einem Jahr einen echten „Schuldenschnitt", also den Verzicht auf einen Teil der Rückzahlung griechischer Staatsschulden, weil das Land nicht in der Lage sein wird, aus eigener Kraft diese Schulden zurück zu zahlen. Dieser „Schuldenschnitt"
braucht allerdings die Absicherung des jetzt geplanten EFSF, um die Folgewirkungen für Banken, Anleger und andere Staaten so gering wie möglich zu halten.

-Finanzmärkte regulieren: Für alle europäischen Mitgliedsstaaten, deren staatliche Verschuldung aufgrund der nationalen Rettungspakete für die Banken- und Finanzmarktkrise der Jahre 2008/2009 massiv gestiegen ist, ist die robuste und strikte Regulierung dieser Finanzmärkte nach wie vor der wichtigste Schutz vor einer zu hohen Verschuldung. Das marktwirtschaftliche Prinzip, dass Haftung und Risiko zusammengehören, muss an den Finanzmärkten endlich wieder Geltung erhalten. Die Privatisierung der
Milliardengewinne und das Abwälzen von gigantischen Verlusten aufgrund fehlender Regeln und unverantwortlicher Spekulationen ist trotz der Erfahrungen mit der Finanzmarktkrise nach wie vor möglich und muss beendet werden.

-Spekulation und Finanzmärkte besteuern: Dazu zählt auch die Einführung der Besteuerung dieser Finanzmärkte durch eine „Finanztransaktionssteuer" in Europa und ggf. beginnend in der Euro-Zone. Diese Forderung der SPD ist von der CDU/CSU und FDP Bundesregierung jahrelang blockiert worden und noch heute wehren sich Teile der Koalition dagegen, dass diejenigen, die einen Großteil der Verantwortung für die aktuelle Schuldenkrise tragen, auch an ihrer Bewältigung beteiligt werden.

-In Wachstum investieren: Die Einnahmen dieser Finanztransaktionssteuer müssen dazu dienen, Europa und vor allem den Krisenstaaten in Südeuropa auch eine Wachstumsperspektive zu geben. Es ist unverantwortlich von den konservativ-liberalen Regierungen Europas und insbesondere der deutschen Bundesregierung, diese Wachstumsperspektive nicht zu eröffnen. Die drastischen Sparmaßnahmen z.B. in Griechenland werden das Land nicht aus der Krise führen. Im Gegenteil: die Sparmaßnahmen allein führen zu einer
ständig steigenden wirtschaftlichen Rezession im Land. Im Ergebnis reichen alle Sparanstrengungen nicht einmal aus, den wirtschaftlichen Rückgang auszugleichen – geschweige denn die Verschuldung abzubauen. Ohne die Kombination der notwendigen Sparmaßnahmen mit Investitionen in Infrastruktur, Bildung und wirtschaftliches Wachstum wird das Land immer mehr in einen krisenhaften Zyklus gezwungen, dessen Folgen die Bevölkerung nicht auf Dauer akzeptieren wird.

-Gemeinsame Wirtschaftspolitik in der EU: Die europäischen Mitgliedstaaten und ihre Regierungen müssen deshalb zusammen und gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik kommen, die die bisherige wirtschaftspolitische Ideologie und ihre ausschließliche Konzentration auf den freien Binnenmarkt in Europa beendet. Preisstabilität, Wachstum und hohe Beschäftigung zu angemessenen Löhnen und Gehältern und soziale Sicherheit müssen
endlich ins Zentrum einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik Europas rücken.

Deutschland hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Die Folge einer fortgesetzten wirtschaftlichen Rezession in Griechenland und dem damit nicht mehr auszuschließenden Staatsbankrott oder einem Austritt aus der Euro-Zone wären auch für unser Land dramatisch: die erneute Stabilisierung betroffener deutscher und europäischer Banken und vor allem die Gefahr der „Ansteckung" weiterer Mitgliedstaaten der Euro-Zone würde zu immer größeren finanziellen
Anstrengungen führen, um eine allgemeine wirtschaftliche Rezession und steigende Arbeitslosigkeit auch in Deutschland zu verhindern.

Die Abstimmung über den jetzt vorliegenden Entwurf für einen weiteren Europäischen Rettungsschirm (EFSF) sowie die zeitgleich vorgelegten Regeln für die Beteiligung des Deutschen Bundestages und den Schutz des Budgetrechts für das deutsche Parlament sind deshalb nur der erste Schritt zu einem finanziell stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Europa.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 27.09.2011 15:57.

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