Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vor

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Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vor

von polis am 08.03.2011 14:08




Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vor

Berlin (rdp/ots) - Der Ethikrat stellt darin den Sachstand und die ausschlaggebenden Argumente von Befürwortern und Gegnern einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) umfassend dar.

Vor dem Hintergrund aktueller technischer und rechtlicher Entwicklungen beschreibt der Ethikrat die derzeitige Praxis und die neuen Möglichkeiten der genetischen Diagnostik an Embryonen. Er geht auf die unterschiedlichen Positionen und Argumente zum Status und Schutz des Embryos ein und diskutiert die wichtigsten sozialethischen Aspekte.

Ausgehend von diesen Überlegungen entwickeln die Ratsmitglieder zwei alternative Vorschläge zu einer gesetzlichen Regelung der PID.

Eine Gruppe von 13 Mitgliedern des Deutschen Ethikrates hält die PID unter bestimmten Einschränkungen für ethisch gerechtfertigt, weil die PID einen Weg eröffnet, einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik gemäß medizinischer Indikation zu vermeiden, und auch Paaren eine Chance auf Hilfe bietet, die aus genetischen Gründen wiederholte Fehl- oder Totgeburten erlebt haben. In beiden Fällen sprechen gewichtige Gründe des Gesundheitsschutzes der Frau für die Zulassung der PID.

Voraussetzung für die Durchführung der PID ist ein hohes medizinisches Risiko. Dieses liegt vor,

a) wenn bei den Eltern nachweislich eine erbliche Anlage vorhanden
ist, die bei Vererbung auf das Kind zu einer schweren Krankheit
oder Behinderung führen würde und im Falle ihrer Feststellung
durch pränatale Diagnostik wegen einer Gefährdung der
körperlichen oder seelischen Gesundheit der betreffenden Frau
Anlass für eine medizinische Indikation zum
Schwangerschaftsabbruch wäre,

b) wenn bei den Eltern nachweislich ein hohes Risiko vorhanden
ist, eine Chromosomenstörung oder anderweitige Mutation zu
vererben, die eine extra-uterine Lebensfähigkeit des Embryos
ausschließt oder

c) wenn bei den Eltern nach wiederholten Fehlgeburten oder
vergeblichen Behandlungsversuchen der assistierten Reproduktion
nach eingehender medizinischer Abklärung ein hohes Risiko für
Reifungsstörungen der Keimzellen gegeben ist, sodass ein
Großteil der entstehenden Embryonen extra-uterin nicht
lebensfähig ist.

Unzulässig und gesetzlich zu verbieten ist die Durchführung der PID nach Ansicht dieser Ratsmitglieder hingegen

a) zur Feststellung des Geschlechts eines Embryos, es sei denn,
diese hat das Ziel, die Geburt eines Kindes mit einer
folgenschweren, geschlechtsgebunden vererbten genetischen
Anomalie zu vermeiden,

b) wenn sie mit dem Ziel der Auswahl eines Embryos für die Spende
von Zellen, Geweben, oder Organen für einen anderen Menschen
erfolgen soll,

c) wenn sie ohne eine der oben angeführten Indikationen etwa zur
Vermeidung eines allein wegen des Alters der Frau vermuteten
Risikos von Chromosomenstörungen beim Embryo erfolgen soll und

d) bei spätmanifestierenden Krankheiten.

Die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID empfehlen, dass der Gesetzgeber diese Kriterien festlegt, jedoch keinen Katalog einzelner Krankheiten oder Behinderungen aufstellt, bei denen eine PID infrage kommt.

Sie schlagen außerdem bundeseinheitlich festzulegende Verfahrensregeln für die Durchführung der PID vor. Die Indikationsstellung soll nach Feststellung des genetischen Risikos und Beratung durch einen Humangenetiker, nach ärztlicher Beratung durch einen Reproduktionsmediziner und nach psychosozialer Beratung durch eine nach Schwangerschaftskonfliktgesetz anerkannte Beratungsstelle gemeinsam durch die an der Beratung beteiligten Experten sowie einen Vertreter der IVF-Kommission der Landesärztekammer erfolgen.

Die Befürworter dieses Konzepts wollen mit der begrenzten Zulassung der PID einen Wertungswiderspruch zum bestehenden gesetzlichen Schutzkonzept während der Schwangerschaft vermeiden.

Eine Gruppe von elf Mitgliedern des Ethikrates vertritt die Auffassung, dass die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik ethisch nicht gerechtfertigt ist und verboten werden sollte,

- weil der in vitro gezeugte Embryo aufgrund seiner künstlichen
Erzeugung einer besonderen Verantwortung unterliegt, die es
verbietet, ihn zu erzeugen, um ihn im Falle unerwünschter
Eigenschaften zu verwerfen,

- weil der selektive Blick auf die durch gezieltes menschliches
Handeln erzeugten Embryonen und die Bereitschaft zu ihrer
eventuellen Verwerfung die PID grundlegend von der Situation des
Schwangerschaftsabbruchs aufgrund medizinischer Indikation nach
Pränataldiagnostik unterscheidet,

- weil mit der PID eine embryopathische Indikation wieder
eingeführt würde, also die Erlaubnis, menschliches Leben
aufgrund unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen, die aus der
Schwangerschaftskonfliktregelung ausdrücklich gestrichen wurde,

- weil gravierende Folgen für den Embryonenschutz absehbar sind,
insbesondere indem eine hohe Anzahl von "überzähligen" Embryonen
entstehen würde, von denen niemand weiß, wie mit ihnen umzugehen
wäre,

- weil eine Begrenzung auf wenige Fallgruppen oder schwere
Erkrankungen nicht einzuhalten ist, vielmehr eine Ausweitung der
Indikationen und Anlässe für die Anwendung der PID absehbar ist,
wie dies auch in anderen Staaten, die die PID zugelassen haben,
bereits erfolgt ist,

- weil die technische Entwicklung chipgestützter Diagnosetechniken
einen breiteren Einsatz der PID für die gleichzeitige Diagnostik
einer Vielzahl von genetischen Abweichungen oder
Krankheitsveranlagungen in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht,

- weil sich der Druck auf genetisch belastete Eltern, die sich
keiner PID unterziehen wollen, und auf Menschen mit Behinderung,
insbesondere mit genetisch bedingten Behinderungen, erhöhen
könnte und dies Bemühungen um Integration und Inklusion
zuwiderlaufen würde.

Nach Auffassung der Unterzeichner dieses Votums müssen die Sorgen und Wünsche von genetisch belasteten Paaren ernst genommen werden. Eine Einführung der PID rechtfertigen sie aber nicht. Vielmehr ist eine bessere Beratung und Unterstützung betroffener Paare oder Familien sicherzustellen; ebenso ist zu prüfen, ob ihre Belastung durch den Einsatz anderer Verfahren gemildert werden kann.

In einem Sondervotum spricht sich ein Ratsmitglied dafür aus, die PID zur Identifikation von entwicklungsfähigen Embryonen zu erlauben und dafür eine verbindliche Indikationsliste zu erstellen.

Die Stellungnahme ist unter http://www.ethikrat.org abrufbar.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 08.03.2011 14:08.

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