Klassische Medien im Blick der ägyptischen Revolution

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polis
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Klassische Medien im Blick der ägyptischen Revolution

von polis am 02.02.2012 20:00

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Klassische Medien im Blick der ägyptischen Revolution

ein Interview mit Rüdiger Heescher

Wie das so ist. Nach langem Anlauf entschließt sich einer, endlich, dem Treiben, der Hektik, dem Stress des Alltages für eine längere Zeit zu entfliehen. Er organisiert, bereitet vor und geht. Weg aus der Stadt, dem Land, weg von seiner „gewohnten“ Umgebung, hin in eine neue, auf jeden Fall andere Umgebung. Er will Pause machen vom Gewohnten.

Naja, so ganz gelang das nicht. Wie denn auch? Soll sich ein Politiker und Medienmacher ausgerechnet im Ägypten des aufziehenden arabischen Frühlings, solcherlei Geschehnissen entziehen?

Wir wollen von dem „Mann vor Ort“ erfahren, wie sich klassische Medien durch die Zeit der ägyptischen Revolution verhalten und (ob sie sich) auch verändert haben.

Der Mann heißt Rüdiger Heescher, die Fragen für p-ffd stellte Frank Happel.

Frank Happel: Rüdiger, Sie waren für längere Zeit, genau mit Beginn und Verlauf der ägyptischen Revolution, als Gast/Tourist in Ägypten. Warum und wie lange insgesamt?

Rüdiger Heescher: Ich habe im Jahr 2010 beschlossen ein Sabbathjahr einzulegen und bin im November nach Ägypten ins Warme auf die Halbinsel Sinai gezogen. Ich kam gerade passend zu den Parlamentswahlen und konnte so noch den Wahlkampf im November 2010 vor Ort verfolgen. Schon in dieser Zeit wurde sehr offen diskutiert und mehrere Parteien haben dazu aufgerufen die Wahlen zu boykottieren, wie auch die Basis der linken Tagamu-Partei. Allerdings sah es die Führung der Partei anders und kandidierte gegen den Beschluss der Basis. Dadurch hat die Führung der linken Blockpartei in diesem System Mubarak sehr viel an Respekt verloren, denn im linken Spektrum wurde zu der Zeit schon viel über den autoritären Führungstil in der Linken diskutiert. Auch in Al Ahram, der wichtigsten staatlichen Zeitung, wurde darüber berichtet und in Meinungsrubriken diskutiert. Nichts ungewöhnliches, auch schon zu diesem Zeitpunk. Es war möglich, auch in Zeitungen, kritisch zu diskutieren.


FH: Da kommen wir gleich zu meiner nächsten Frage. Die klassischen Medien in Ägypten stehen unter staatlicher Aufsicht und Zensur, inwieweit kann man diese Zensur beschreiben? Gibt es bekannte, vergleichbare  Beispiele?

RH: Insgesamt gesehen hatte man den Eindruck, als wenn nichts wirklich auf Zensur deuten würde. Wenn man Fernsehn sah (arabisch konnte ich nicht und war auf meine eigenen geschulten Eindrücke als ehemaliger Fernsehautor und Übersetzungen wie Erzählungen angewiesen) so hatte man den Eindruck, als wenn es ganz normales Fernsehn war, wie bei uns auch. Es gab viele Schnulzenfilme über Liebe, Herz, Schmerz, genauso wie Comedy und Slapstick, was ein hohes Maß an Selbstironie aufwies. Es war erstaunlich wie sehr sich Ägypter selbst auf die Schippe genommen haben, was mich gleich aufhorchen lies, denn das ist oftmals ein Zeichen von Verarbeitung. Und in der Tat wurde viel dafür getan, dass eine Säkularisierung in der Gesellschaft über das Fernsehen statt fand. Es gab viele Talkshows wie bei uns und auch dort gab es den Eindruck, als wenn man offen und frei diskutierte. Frei und offen und sehr kultiviert in der Auseinandersetzung, was mich sehr an deutsche Talkshows erinnerte im Gegensatz zu französischen Talkshows, wo nicht so diplomatisch miteinander umgegangen wird.

Picture3.pngDoch auch hier war klar, dass es Themen waren, die sagen wir mal, nicht weiter an die Substanz des vorherrschenden Systems stieß und mehr nur die Zuschauer beschäftigen sollten. Es gibt staatliches Fernsehen und private Sender, die genauso viel und oft gesehen wurden. Nil TV z.B. ist ein privater Sender von Sawiris, dem mächtigsten Mann in Ägypten, dem auch z.B. der grösste Telekomkonzern in Ägypten gehört, Mobinil. Meinungsbildung fand dort über die Auswahl der Nachrichten und Themen der Talkshows statt. Aber es ähnelte sehr dem des staatlichen Fernsehens und es war kein Unterschied zu festzustellen außer, dass immer betont wurde, dass es ein unabhängiger Sender sei. Die Betonung auf unabhängige Medienberichterstattung war Programm bei den Privaten Sendern. Allerdings wusste aber auch jeder, dass diese Unabhängigkeit keine wirkliche war und den Interessen des Milliardärs Sawiris diente, dessen Familie engste geschäftliche Beziehungen mit der Familie Mubarak unterhielt. Es war auch den Zuschauern bekannt. Insofern auch hier ziemlich offen und es wurde nicht wirklich etwas verdeckt. Wer es wissen wollte, wusste es.

Die Zeitungen wie die staatliche Zeitung al Ahram berichteten wie bei uns auch und man konnte nicht wirklich Propaganda in offensichtlicher Weise ausmachen. Ein Freund von mir, dessen Schwiegertochter bei Al Ahram arbeitet, erzählte mir allerdings, wie geschickt vorgegangen wird um entsprechende Meinungsbildung und Vorurteile zu schüren um die Leute bei der Stange zu halten und ein nationales Gemeinschaftsgefühl zu erhalten. Vor Jahren wurde ein Interview Team auf die Halbinsel Sinai geschickt, um über AIDS und die Verbreitung durch Touristen vor allem aus Israel zu berichten. Es war nichts dran an der Geschichte, aber es wurde so getan, als wenn aus Israel der HIVirus eingeschleppt würde durch die vielen israelischen Touristen. Das Bild meines Freundes wurde dann als Beleg mit hinzugefügt zu dem Artikel und er wurde als Betroffener dargestellt, der nun mit dem Virus zu kämpfen hätte. War alles erlogen und es war nur eine Propaganda Geschichte, aber jetzt steht für die Ägypter auf dem Festland fest, dass durch Israels Touristen auf die Halbinsel Sinai der AIDS Virus eingeschleppt wird. Das ist Bild zeitungsmäßig. Seine Schwiegertochter macht Karriere bei Al Ahram und die Familienbeziehungen sind gestorben.

Eine etwas brisantere Geschichte, die sich vor 3 Jahren ereignet hat, war die von Kamal El Gnzory, der sich in Talkshows einfach nur ein paar Gedanken gemacht hat über die Stabilisierung und Aufwertung des ägyptischen Pfund und vorgeschlagen hat den Wegezoll für den Suezkanal in ägyptische Pfund bezahlen zu lassen und nicht in Dollar oder Euro. Das hatte allerdings einen Rattenschwanz an Enthüllungen zur Folge, denn es wurde dadurch bekannt, dass die Amerikaner gar keinen Wegezoll bezahlen müssen, die Korruptionswirtschaft blühte über die Einnahmen am Suezkanal und nicht wirklich alles an Einnahmen so in den Haushalt Ägyptens fliessen würde, was zum grossen Teil für die Subvention von Lebensmitteln diente. Daraufhin kam Kamal El Gnorzy unter fadenscheinigen Begründungen ins Gefängnis, was wiederum eine Empörungswelle hervorrief. Denn jeder wusste, dass er nur wegen dieser Enthüllungen, die er in Gang gesetzt hatte, ins Gefängnis kam.


FH: Ich habe gelesen, man bekommt diesen Eindruck auch über TV-Berichterstattung hier bei uns, dass Nachrichtensendungen in Ägypten häufig in Form von Public Viewings in Cafés gesehen werden. Ist das tatsächlich so? 

RH: Ja auf Marktplätzen oder in Cafes sitzen viele Ägypter vor einem kleinen Fernseher, können kaum aus der Entfernung etwas sehen und der Ton klingt schon verzerrt bei der Lautstärke. Aber es ist ein Gemeinschaftsgefühl und die Menschen können sich dann über die Sendung auch gleich unterhalten. Es ist nicht nur bei Fußballspielen so, die eine große Bedeutung für Ägypter haben, sondern auch bei Comedy Sendungen oder Liebesfilmen. Weniger bei Talkshows. Dadurch, dass es in Ägypten nie regnet und man sich gerne bei Tee in geselliger Runde befindet, ist das Public Viewing ein gemeinschaftliches Ereignis und normal für Ägypten. Allerdings ein rein männliches gemeinschaftliches Ereignis.


FH: Ich habe mich ein wenig mit dem Sender Al Jazeera beschäftigt. Meinen Infos entsprechend wird dieser nicht so sehr vom Staat kontrolliert wie andere. Können Sie das bestätigen?

RH: Es gab in Kairo eine vor der Revolution ein Studio von Al Jazeera aus dem Meldungen zu Ägypten hier produziert wurden. Auch die Übertragung über Satellit hatte dieser Sender in Kairo auf einer festen Frequenz zusammen mit allen anderen ägyptischen Sendern, als normaler privater Kanal. Al Jazeera in Kairo hatte immer einen besonderen Stellenwert für Ägypter um zu erfahren, was andere zu sagen haben als der staatliche Sender. Allerdings konnte man davon ausgehen, dass es sich mehr auf Nachrichten aus dem Ausland bezog und weniger den regionalen eigenen ägyptischen Nachrichten.

Als die Revolution anfing am 25.1.2011 hat Al Jazeera Kairo genauso wie das staatliche Fernsehen berichtet, bis sich Al Jazeera aus Katar eingemischt hat und Bilder von BBC gesendet hat. Al Jazeera Kairo war also ganz auf Regierungslinie in Ägypten und erst Katar hat für die Ägyptische Regierung Probleme bereitet. BBC war mit vielen Journalisten vor Ort bei den Demonstranten und hatte die meisten Bilder und Interviews von Anfang an parat. Al Jazeera in Katar hat sie übernommen und schickte sie Al Jazeera Kairo zum senden. Das hat dann allerdings ein paar Tage später dazu geführt, dass Al Jazeera Kairo geschlossen wurde und von den Frequenzen gekappt wurde. Man musste dann eine neue Frequenz auf seinem Satelliten Reciever einstellen um al Jazeera wieder zu empfangen. Jetzt allerdings direkt aus Katar und nicht mehr aus Kairo. Man konnte also schon merken, dass Al Jazeera in Kairo letztlich gleichgeschaltet war mit der Regierung in Ägypten und erst durch die Order aus Katar sich dieser Sender in Ägypten zu einem Freiheitssender der Revolutionäre entwickelte.


FH: Ist der Sender mit einem deutschen oder europäischen Sender vergleichbar?

RH: Ich würde das Format von Al Jazeera am ehesten als Mischung aus CNN und BBC bezeichnen wollen, wie auch unsere Sender, z.B. N-TV ein ähnliches Format haben.


FH: Werden in Ägypten von den Zuschauern eher Nachrichtensendungen oder mehr Unterhaltungsformate geschaut? 

RH: Zum größten Teil schaut man Fußball, Lovestorys, Talkshows und Comedy. Nachrichten werden wie bei uns genauso wie die Tagesschau verfolgt. Natürlich hat sich das zur Revolution ein wenig geändert und man hat auch Al Jazeera oder Al Arabia (Partnersender des ZDF in Ägypten) als Nachrichtensender aufmerksam verfolgt.


FH: Wurden die klassischen Medien während der Revolution stärker eingeschränkt? Gab es klassische Medien, die sich gerade aufgrund der Revolution von ihrer staatlichen Zensur befreit haben? Womöglich durch wahrheitsgetreue Berichte zur Revolution und/ oder negativer Berichterstattung über den Staat?

RH: Es wurde Al Jazeera in Kairo geschlossen, wie ich aber schon ausführte konnte man über Satelit, was die meisten hatten, weiterhin Al Jazeera aus Katar verfolgen. Die privaten Sender in Ägypten haben nicht wirklich eine andere Berichterstattung gemacht als die staatlichen Sender. Im Gegenteil, wenn man NilTV gesehen hat (dem Schlachtschiff von Sawiris in der Medienlandschaft als privater Sender), dann wurde sogar vom Intendanten des Senders eindringlichst zur Mäßigung aufgerufen und die Demonstranten diffamiert, als wenn sie aus dem Ausland gesteuert wären. El Baradei wurde diffamiert er wäre ein Agent der Israelis und Amerikaner. Man hat die 6. April Bewegung gerade auf Nil TV versucht zu kriminalisieren und ihnen wurde unterstellt, dass sie nur Störenfriede wären und von Amerikanern bezahlt werden. Nach dem Sturz von Mubarak 18 Tage später hatte sich dann allerdings alles gedreht.


FH: Was bleibt ihnen als Eindruck aus Ägypten und der Erfahrung inmitten der Revolution erhalten - bezogen auf die Medien?

RH: Insgesamt gesehen habe ich nicht wirklich einen großen Unterschied zu unserer deutschen Medienlandschaft gesehen. Es war mir sehr vertraut. Es hat mich allerdings auch einen noch kritischeren Blick auf die deutschen Medien werfen lassen.


FH: Rüdiger, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

 


Antworten Zuletzt bearbeitet am 02.02.2012 20:42.

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