Komm, wir gründen eine Partei

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polis
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Komm, wir gründen eine Partei

von polis am 25.09.2011 11:46




Komm, wir gründen eine Partei

Anmerkungen eines Silversurfers

Von polis-Gastautor Ulrich Kasparick

Ulrich Kasparick

Kann sein, dass ich sentimental werde, aber die Bilder dieser Tage von den „Piraten" lassen doch die eine oder andre Erinnerung wach werden.
Oktober war's. 1989.
Die Diktatur beherrschte alles.
Und doch gründeten wir damals unsere neue Partei. Was nicht ungefährlich war.
Ibrahim Böhme und Rainer Hartmann wollten mich mitnehmen nach Schwante, aber ich war in Wandlitz beim Kaffee und nicht zu Hause.
Eine Woche später war ich dabei, bei dieser „SDP", wie sie sich nannte in bewusster Abgrenzung von der westdeutschen „SPD".
Denn wir wollten „es anders machen".
Internet hatten wir nicht. Wussten nicht mal, was ein fax ist. Handys – Fehlanzeige. Autos: alte Plastikkutschen. Kopierer? Was'n das?
Die Stasi war dabei, wie wir jetzt wissen und hat uns doch nicht aufhalten können.
Es galt, die Diktatur zu beseitigen und eine parlamentarische Demokratie einzuführen in ein Land, das 40 Jahre Diktatur verwüstet hatten.

Heute kommen die „Piraten" und entern ein Landes-Parlament.
Junge, engagierte Leute, die den „alten Parteien" mal ordentlich den Marsch blasen" wollen. Oder genauer: twittern.
Und ich sehe, wie sie da sitzen bei „Phoenix" bei ihrer ersten Pressekonferenz nach einer Wahl, die alle 15 ihrer Kandidaten ins Berliner Abgeordnetenhaus gespült hat.
Und erinnere mich.

Mit Handys haben sie's gemacht, mit Laptops und Computern, tablets und viel „Internetzeugs".
Spaßig rufen sie den Journalisten zu, es gäbe „nachher noch eine Gelegenheit für eine Nahaufnahme des Internets".
Wofür sie stehen, ist noch nicht recht deutlich.
Um „mehr Demokratie" soll es gehen.
Das ist gut.
Und verdammt schwer.
Denn viele Menschen haben „keinen Bock" auf Demokratie, machen lieber dumme Sprüche oder amüsieren sich auf Kosten der Engagierten.
Das ist einfacher.
Demokratie jedoch macht Mühe.
In der Opposition zumal, denn für keinen einzigen seiner Anträge findet man eine Mehrheit.
Parlament aber funktioniert nach Mehrheiten der Gewählten.
Die jungen Leute werden also unter Druck kommen von denen, die „draußen" sind, vor den Toren des Parlaments.

Ich erinnere mich an unser „Programm" an unsere „Ideen" – und wie sie scheiterten am Realen.
Nicht immer, darauf können wir stolz sein.
Aber doch oft.
Beispielsweise gibt es bis heute keine gesamtdeutsche Verfassung.

Ich erinnere mich gut, wie es war, als die Medien anfingen, sich für uns zu interessieren, denn das war ja das gefundene Fressen für die Neuigkeitsindustrie: ein ganzes Land geht unter!
Das hat was, wenn ein Land zusammenbricht. Das interessiert den Zuschauer.
„Wer sind die Neuen? Was wollen die?"
Auf den Fluren in der Rungestraße stand der NDR und der Spiegel, ZDF und wie sie alle heißen kamen hinterdrein, wir hatten nicht mal Stellplatz in den kleinen Räumen für die Kopierer, die uns Partner aus dem Westen zur Verfügung gestellt hatten.
Die Überschrift beim NDR hieß: „SDP – Hightech steht auf dem Klo".
Wir lernten die Macht der Medien kennen.
Wie sie einen hochschreiben und wieder fallen lassen.
Wie sie sich einen aufs Korn nehmen oder unterstützen.
Wie sie jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben und einen verrückt machen damit.

Aber das haben wir erst nach und nach gelernt.
Später dann, als etliche von uns im Parlament saßen. Im gesamtdeutschen.
Und Minister wurden und Staatssekretäre, manche gar Ministerpräsidenten.

Das war ein langer Weg.
Wir haben den Unterschied gelernt zwischen Wünschenswertem und Machbarem.
Das war schmerzhaft und manch einer hat es nicht durchgehalten und ist von Bord gegangen.

Man wird sich denken können, dass ich die „Piraten" deshalb mit besonders großem Interesse und auch großer Sympathie beobachte.
Junge Leute, engagiert, unkonventionell, noch etwas unklar.
Aber „die Grünen vertreten die alte Politik" kann ich bei twitter lesen. Da ist man sich schon mal sicher.
Das ist der Anspruch einer neuen Generation.
Deshalb wäre es schade, wenn der Gründer der Piraten Recht behielte. „Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben" hat er der WELT gesagt.
Das wäre schade.
Denn die Demokratie braucht frischen Wind, Glasnost und Perestroika, Transparenz!
Das war die Forderung von Gorbatschow, das war unsere Forderung, und, wenn ich richtig höre, fordern es auch die „Piraten".
„Macht mal einer das Fenster auf! Lasst Luft rein!"

Dieser Ruf ist so alt wie die Demokratie.
Und immer wieder kommen neue, frische junge Leute mit dieser Idee.
Sie wollen es besser machen als die Alten.
Das ist ihr gutes Recht.

Ich wünsche ihnen sehr, dass sie sich nicht blenden lassen von der Aufmerksamkeit der Medien grade in den ersten Tagen nach einem Wahlerfolg.
Das ändert sich.
Und wenn der Wind von vorn bläst, liebe Piraten, wer wüsste es besser als ihr: dann müsst ihr kreuzen!

Willkommen in der Demokratie, für die wir gemeinsam streiten.
(ich war von 1998 bis 2009 MdB und von 2005-2009 Staatssekretär in zwei Bundesministerien).

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